Dienstag, 7. Februar 2012

Vergessene Lektion: Die Griechenlandkrise und Heinrich Brüning

Erinnern Sie sich noch? In der Hochphase der Finanzkrise nach der Lehman-Pleite wurde oft betont es sei wichtig, in der Krisenbekämpfung nicht die Fehler aus der Zeit nach dem großen Börsencrash von 1929 zu wiederholen. Als Fehler wurde vor allem angesehen, dass die Notenbanken seinerzeit nicht mit niedrigen Leitzinsen und einer expansiven Geldpolitik auf die Krise reagierten.
Seit Herbst 2008 vermeiden die Notenbanken in den großen Industrienationen nun schon diesen Fehler. Die globale Wirtschaft ist nicht wie damals in eine Depression abgerutscht, das Finanzmarktsystem wurde vor dem Kollaps bewahrt. Die Gefahr, dass dies geschieht, wurde jedoch nicht gebannt. Auch angesichts der sich erneut zuspitzenden Krise in Griechenland gilt die größte Sorge heute eigentlich nicht so sehr der Stabilität des Euro und der Europäischen Währungsunion, obwohl dies das beherrschende Thema in Presse und Medien ist. Die größte Sorge gilt der Finanzmarkt-stabilität.
Mittlerweile werden überall Risiken für die Finanzmärkte gesehen.
Beispielsweise kritisierte jüngst Barack Obama den Iran, er gehe nicht scharf genug gegen Geldwäsche vor und bezeichnete deswegen dessen Verhalten als inakzeptables Risiko für das internationale Finanzsystem. (1) Und der Internationale Währungsfonds forderte China eindringlich dazu auf, sich mit Investitionen in europäischen Schuldenstaaten stärker in die Lösung der Euro-Krise einzuschalten, weil eine Verschärfung derselben unweigerlich auch Chinas Wirtschaft massiv einbrechen lassen würde. (2)
Jeder weiß, dass sich die Finanzmärkte vollgesogen haben mit Liquidität, die die Notenbanken ihnen zu niedrigsten Zinsen zur Verfügung stellen. Das Geld ist größtenteils nicht in die Wirtschaft geflossen, es hat die Wirtschaftstätigkeit nicht belebt. Doch genau das hätte nach der herrschenden ökonomischen Auffassung eigentlich geschehen sollen.
Damit ist klar, dass es ein Irrtum war davon auszugehen, für die Bewältigung der zweiten Finanzmarkt- und Weltwirtschaftskrise reiche es aus, geldpolitisch das Gegenteil von dem zu tun, was die Notenbanken in den 30er Jahren taten – den Geldhahn auf-, statt zuzudrehen.
Was dadurch gewonnen wurde, ist bereits gesagt worden. Doch diese Rechnung ist insofern unvollständig, als nicht das daraus neu geschaffene Problem einer Liquiditäts- bzw. Vermögensblase mitberücksichtigt wurde. Denn die Liquidität ist ja im Finanzsektor geblieben und hat quer durch alle Anlageklassen die Vermögens- und Rohstoffpreise nach oben getrieben – was die Wirtschaft zusätzlich belastet. Die Notenbanken haben so gesehen eigentlich nur den Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben.
Es ist folglich nicht korrekt, von einer erfolgreichen geldpolitischen Krisenstrategie zu sprechen. Nicht die Fehler aus den 30er Jahren zu wiederholen, kann also durchaus auch heißen, stattdessen andere und möglicherweise ebenso gravierende, weil genauso folgenschwere Fehler zu machen. Diese Möglichkeit hatten die Geldpolitiker entweder nicht auf ihrer Rechnung  oder sie haben schlicht keine Vorstellung von einer anderen, besseren geldpolitischen Lösung. Beides ist vor dem Hintergrund der signifikanten Schwächen der ihrer Arbeit zugrundeliegenden ökonomischen Theorien und Modelle durchaus plausibel.
Ein weiterer gravierender Fehler besteht darin, den geldpolitischen Kurs als ausschlaggebend für die Krisenbewältigung anzusehen, das heißt, Geldpolitik als Lösung zu betrachten. Finanzmarkt- und wirtschaftsstrukturelle Probleme und Verwerfungen, können mit Geldpolitik allein nicht gelöst werden. Die tief verwurzelte monetaristische Überzeugung, dass alles am Geld hängt und damit die Wirtschaft geldpolitisch gesteuert werden kann, hat sich als falsch erwiesen. Die Finanzmarktkrise hat uns die Ohnmacht der Geldpolitik eindrucksvoll vor Augen geführt.
Und auch jetzt, im vierten Jahr nach der Lehman-Pleite zeigt die Tatsache, dass die Liquidität kaum in der Wirtschaft ankommt, wie begrenzt die Möglichkeiten der Notenbanken zur gezielten Beeinflussung der Märkte tatsächlich sind. Zwar bleiben einzelne Maßnahmen nicht ohne Effekt – beispielsweise die im Dezember im Zuge des 3-Jahres-Tenders den europäischen Banken zur Verfügung gestellte Liquidität der Europäischen Zentralbank, die – zumindest vorübergehend - stabilisierend auf das europäische Bankensystem wirkte.
Gleichwohl lösen sie nichts. Die europäischen Banken etwa sind nach wie vor in derselben schwierigen Situation, die durch ein neues Krisenereignis – etwa die Pleite Griechenlands infolge gescheiterter Verhandlungen – jederzeit eskalieren kann. Zugleich vertieft sich aber die Wirtschaftskrise in den europäischen Schuldenstaaten fortlaufend. Darüber hinaus gibt es auch auf den Weltmärkten immer mehr Anzeichen für eine aufziehende Rezession. Und die von der EZB den Banken zusätzlich zur Verfügung gestellte Liquidität fließt nicht nur nicht in die europäischen Wirtschaft. Im Gegenteil schränken die europäischen Banken die Kreditvergabe an die Wirtschaft jetzt sogar immer weiter ein, wie die vierteljährliche Kreditumfrage der EZB für das letzte Quartal 2011 ergab. (3)
Eine geldpolitische Erfolgsbilanz ist das nicht.
Noch schlechter sieht die Bilanz für die Krisenbewältigungsstrategie der Politik aus. In den USA ist die Politik nahezu gelähmt und handlungsunfähig. Fast die gesamte Last der Krisenbekämpfung ruht seit Monaten praktisch auf Ben Bernanke, der sich inzwischen der Grenzen der Lösungsbeiträge der Fed bewusst geworden ist. (4)
Während in den USA nichts entschieden wird, hat sich Großbritanniens Regierung für Austeritätspolitik entschieden, fürs Gesundsparen also. Dasselbe gilt für die Europäische Union als Ganzes. Ob Irland, Griechenland, Portugal, Spanien, Italien, Ungarn oder auch Rumänien – überall dort, wo Regierungen auf finanzielle Unterstützung von außen angewiesen sind, werden – ganz im Sinne des Washington Consensus (5) - als Gegenleistung für Finanzhilfen drastische Sparmaßnahmen gefordert.
Das ist nicht ohne Konsequenzen geblieben, allerdings sind es bisher nicht die gewünschten. Die Staatseinnahmen brechen weg, die Binnenwirtschaft ist auf Talfahrt und die Arbeitslosigkeit steigt rasant. Gleichwohl werden immer neue Sparmaßnahmen und Einschnitte gefordert, was die amtierenden Regierungen infolge von massiven Protesten aus der Bevölkerung reihenweise hat scheitern lassen, so geschehen in Irland, Griechenland, Ungarn, Portugal, Spanien, Italien und zuletzt auch in Rumänien (6). Man braucht kein Hellseher zu sein, um vorhersehen zu können, dass auch die aktuell amtierenden Regierungen in Frankreich, Großbritannien und zuletzt – da bisher wirtschaftlich noch das stabilste Land in der EU – auch in Deutschland dasselbe Schicksal ereilen wird – wenn sich nichts ändert.
Haben die Notenbanken wenigstens versucht, die Fehler, die in den 30er Jahren geldpolitisch gemacht wurden, zu umgehen, so trifft das in keiner Weise auf die Politik zu. Im Gegenteil werden die entscheidenden Fehler wiederholt: Aufgrund der überzogenen Reparationsforderungen der Siegermächte stand in den 30er Jahren das Deutsche Reich ebenso wie heute viele europäische Krisenstaaten vor einem massiven Schuldenproblem. Nach dem Börsencrash von 1929 brach die deutsche Wirtschaft ein, die Arbeitslosigkeit explodierte und erreichte Anfang 1933 die 30-Prozent-Marke. Reichskanzler Heinrich Brüning bekämpfte die Krise mit Austeritätspolitik, das heißt mit all den Maßnahmen, die jetzt auch in Griechenland und in anderen Schuldenstaaten durchgesetzt werden. Die Folge waren Proteste, Streiks, eine Verschärfung der Wirtschaftslage und der Arbeitslosigkeit, eine politische Radikalisierung und letztlich das Scheitern von Brünings Regierung.
Heute geschieht exakt dasselbe – allerdings nicht nur in einer Volkswirtschaft, sondern in einer ganzen Reihe von europäischen Volkswirtschaften. Und anders als damals in der Weimarer Republik kommt der Druck – Großbritannien ausgenommen -, die Krise, die vornehmlich als Schuldenkrise wahrgenommen wird, mit drastischen Sparmaßnahmen, Lohnkürzungen, Einschnitten in das soziale System, Privatisierungen usw. zu bekämpfen, aus dem Ausland und von supranationalen und internationalen Institutionen (EZB und IWF).
Das ist im Vergleich zur Weimarer Zeit eine neue und brandgefährliche Variation in der bekannten Entscheidungs- und Handlungskette. Brandgefährlich ist sie deswegen, weil die eigentlichen Entscheider nicht mehr unmittelbar mit den Folgen ihrer Entscheidungen vor Ort konfrontiert sind. Wann waren Nicolas Sarkozy und Angela Merkel, die den Krisenkurs Europas ganz maßgeblich prägen und für richtig erachten, zum letzten Mal auf Staatsbesuch in Griechenland? Und haben sie sich wohl Gedanken darüber gemacht, wie die Geschichte für sie selbst, aber noch mehr für Europa ausgehen wird, wenn der austeritätspolitische Kurs in seiner gegenwärtigen Form beibehalten wird? Denn das Scheitern von Regierungen in Schuldenstaaten kann heute - anders als in der Weimarer Republik - nicht der Endpunkt sein, an dem es dann zu einem Politik- und damit verbunden zu einem krisenpolitischen Kurswechsel kommt.
Das Vermögen, die Wirtschaft wieder prosperieren zu lassen und gleichzeitig Beschäftigung mit für den Lebensunterhalt hinreichendem Einkommen auf- und auszubauen, wird ebenso wie in den 30er Jahren in der Weimarer Republik und im Deutschland der Nachkriegszeit ausschlaggebend sein für wirtschaftliche und politische Stabilität – diesmal für die von ganz Europa! Wenn die Bürger in den gemäßigten Parteien jedoch niemanden finden können, dem sie dies zutrauen, werden sie bei Wahlen zunehmend zu anderen, möglicherweise auch neuen, aber vor allem am rechten und linken Rand des politischen Spektrums liegenden Parteien abwandern (siehe auch Tabelle „Reichstagswahlergebnisse“).
Die Parteienlandschaft wird zunächst „bunter“, was man begrüßen kann. Aber in Krisenzeiten und bei mangelnder Orientierung führt das zunehmend auch zur Lähmung der Entscheidungsfindung in den Parlamenten, weil es schwierig wird, überhaupt noch Mehrheiten zu finden. In diesem Klima gedeihen Populisten mit scheinbar einfachen, aber eben auch radikalen Lösungsvorschlägen. So gesehen tragen die Regierungsparteien zur politischen Radikalisierung - wenn auch ungewollt - maßgeblich bei, je länger sie nicht in der Lage sind, die Krise mit dem oben genannten Resultat in den Griff zu bekommen.
Es gibt für die europäischen Staats- und Regierungschefs in Europa angesichts der bisherigen und mehr noch vor dem Hintergrund des Ausblicks auf die weitere Entwicklung keinen Grund, auf den Krisenkurs stolz zu sein. Das gilt aber ebenso für die USA und Großbritannien. Deutschlands Wirtschaftsmodell ist derzeit aus deutscher Sicht zwar (noch) erfolgreich. Ein Lösung für Europa ist es jedoch nicht, weil sein Erfolg ja gerade auf der Schwäche der Wirtschaft anderer Staaten beruht.
Es unterscheidet sich im Grunde auch nicht so sehr von dem anderer großer Industriestaaten. Sie alle unterstützen die heimische Wirtschaft (und ihre Banken) dabei, Anteile im Welthandel bzw. auf den Weltmärkten hinzuzugewinnen. Aber dieser Wettbewerb wird mittlerweile hauptsächlich zwischen Konzernen entschieden, zwischen den sogenannten „National Champions“, die die umsatz- und gewinnträchtigsten globalen Märkte abdecken.
Staaten, in deren Wirtschaft keine „National Champions“ existieren, geraten jedoch unter diesen Bedingungen im Welthandel ins Hintertreffen und tendenziell in wirtschaftliche Abhängigkeit. Letzteres zeigt sich insbesondere in Krisenzeiten. Griechenland, Portugal und andere können ein Lied davon singen. Wollte man sie mithilfe des deutschen Wirtschaftsmodells wirtschaftlich wieder in die Spur bringen, müsste man ihren Volkswirtschaften eine Handvoll „National Champions“ implantieren – was natürlich eine absurde, aber dennoch vielleicht hilfreiche Vorstellung ist. Hilfreich insofern, weil sie zumindest einmal den Blick auf die Frage richtet, inwieweit National Champions nicht die Lösung, sondern vielleicht gerade ein Problem bei der Krisenbewältigung (Stichwort: Abbau von Leistungsbilanzdefiziten) darstellen.
Wie auch immer, auf europäischer Ebene haben sich die mit der Krisenbewältigung befassten Kreise noch nicht ernsthaft mit dem Problem befasst, wie die Volkswirtschaften in Griechenland & Co. den Turnaround schaffen können. Ein historischer Rückblick und die Realisierung der empirischen Fakten zur aktuellen Entwicklung in den Krisenstaaten müssten dort längst alle Alarmglocken schrillen lassen.

2 Kommentare:

  1. vielen Dank für diesen sehr interessanten Artikel! Zwischen der Lehman-­Pleite und der
    Staatschuldenkrise in Bezug auf Griechenland lassen sich einige identische Charakteristika ausmachen. Diese legen den Schluss nahe, dass im Falle einer Pleite Griechenlands, es zu einem ähnlichen Dominoeffekt wie nach der Lehmen-­Pleite kommt. Ein paar Überlegungen dazu sind auch hier einzusehen: http://www.hausarbeiten.de/faecher/vorschau/180283.html#inside

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  2. @ Anonym

    Gerade die EZB - insbesondere Jean-Claude Trichet und Jürgen Stark - hat sich lange kategorisch gegen jede Form der Umschuldung Griechenlands ausgesprochen, die von den Märkten/Ratingagenturen als Kreditereignis bewertet werden würde, wegen der davon ausgehenden, unkalkulierbaren Folgen für die Finanzmärkte. Immer wieder hatte die Ratingagenturen gewarnt, sie würden dies als Pleite und damit als Kreditereignis bewerten, was zur Folge hätte, dass die Kreditausfallversicherungen (CDS) fällig würden.

    Jetzt läuft es in Griechenland jedoch definitv auf einen Haircut hinaus. Interessanterweise droht aktuell niemand mehr damit, dies als Kreditereignis zu werten. Möglicherweise wird dies auch nicht geschehen, obwohl es de facto eines sein müsste.

    Man kann darüber spekulieren, warum das so ist. Tatsache ist, dass nicht nur europäische Großbanken im Risiko stehen, sondern ganz erhebliche Derivate- bzw. insbesondere auch CDS-Risiken bei lediglich fünf US-Großbanken (Holdings) schlummern, die 95 Prozent (Nennwert: 311000 Mrd. Dollar) des von US-Banken getätigten Derivatehandels auf sich vereinen.

    Das Problem ist: Wer kommt alles in Schwierigkeiten, wenn der Haircut in Griechenland

    a) als Kreditereignis gewertet wird
    b) nicht als Kreditereignis gewertet wird?

    Grüße
    SLE

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