Keine Frage, in der europäischen Bevölkerung
wächst die Unzufriedenheit mit dem europäischen Krisenkurs. Sowohl der immer
noch weiter verschärfte Sparkurs in Mitgliedstaaten mit ernsten
Schuldenproblemen als auch das fortwährende Draufsatteln bei den finanziellen
Stützungsmaßnahmen der Euro-Retter-Staaten sowie der EZB werden zunehmend
kritisch gesehen – nicht zuletzt angesichts der ausbleibenden Wende zum
Besseren, wie die Entwicklung der Wirtschaftsdaten, aber auch die an den
Finanzmärkten immer wieder zeigt.
Die entscheidende Frage ist, wie groß die
Unzufriedenheit mit dem Krisenkurs tatsächlich ist oder besser gesagt die Zahl
derer, die sich einen – wie auch immer gearteten – Kurswechsel tatsächlich wünscht.
Jedenfalls gilt dies dann, wenn wichtige Wahlen vor der Tür stehen – so wie
jetzt.
Am 22.
April findet in Frankreich die
erste, am 6. Mai dann die zweite und
entscheidende Runde der Präsi-dentschaftswahl statt. Wenn der amtierende
Präsident Nicolas Sarkozy diese Wahl verliert, dann wird das nicht ohne
Konsequenzen für das in der europäischen Krisenpolitik für den Antrieb
maßgebliche deutsch-französische Tandem bleiben.
In diesem Zusammenhang muss aber auch die
Landtagswahl in Schleswig-Holstein,
die ebenfalls am 6. Mai stattfindet
und mehr noch die in Nordrhein-Westfalen
eine Woche später, am 13. Mai,
gesehen werden. Zwar ändert sich dadurch auf Bundesebene zunächst nichts. Aber
das Wählervotum ist in jedem Fall auch ein Gradmesser für die Arbeit der
Parteien, die die Bundesregierung stellen. Zudem ist die Arbeit der
Regierungs-koalition in Berlin aufgrund von divergierenden Auffassungen und
Reibereien in vielen Fragen schwieriger geworden, auch bedingt durch den
parteiinternen Stress beim kleinen, in Umfragen anhaltend im „roten Bereich“ liegenden
Koalitionspartner FDP. Zusätzlicher Druck kommt neuerdings vom Aufstieg der
Piratenpartei, die sich in den Umfragen in kürzester Zeit auf zweistellige
Werte verbessern und in Reichweite der Grünen vorstoßen konnte. Es ist vor diesem
Hintergrund nicht auszuschließen, dass die anstehenden Landtagswahlen, bei
denen die FDP laut Umfragen an der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern droht, je
nach Ausgang doch zu einer Belastungsprobe für die Regierungskoalition werden
könnte.
Darüber hinaus findet am 6. Mai aber auch in Griechenland die vorgezogene Neuwahl
des Parlaments statt. Angesichts der schwerwiegenden Folgen der Griechenland im
Gegenzug für finanzielle Hilfen verordneten Sparpolitik einerseits sowie der
tiefen Sorge über die Folgen eines Bruchs mit diesem Kurs andererseits, ist
diese Wahl die seit Dekaden wohl wichtigste und heikelste für Griechenlands
Bürger. Sie hat zweifelsohne das Potenzial, auf Europa und den europäischen
Krisenkurs durchzuschlagen.
Aufgrund der zeitlichen Nähe haben diese
Wahlen möglicherweise auch einen kumulativen Effekt – jedenfalls dann, wenn sie
unerwartete Ergebnisse erbringen, die zudem einen signifikanten Einfluss auf
den künftigen politischen Kurs erwarten lassen.
Es sei in diesem Zusammenhang an die
Weimarer Republik erinnert und an den erdrutschartigen Stimmengewinn der
Nationalsozialisten (NSDAP) bei der Reichstagswahl im September 1930. Sie
erhielten unerwartet viele, nämlich 18,3 Prozent der Wählerstimmen, nach
lediglich 2,6 Prozent der Stimmen bei der Wahl im Mai 1928. (1) Die Reichstagswahl
von 1930 wurde damals mit Blick auf die Wut in der Bevölkerung in der Presse
als „Erbitte-rungs-Wahl“ bezeichnet und später mithin auch als der erste Anstoß
für die Liquiditätskrise von 1931 gewertet, weil der Aufstieg der NSDAP im
Ausland als Alarmzeichen gewertet worden sei.
Es steht außer Frage, dass sich mit Blick
auf die Schuldenprobleme, die wirtschaftliche Lage, aber auch die der
Bevölkerung Griechenland heute in einer ähnlich prekären Lage befindet wie
seinerzeit die Weimarer Republik. Mehr noch entwickelt sich die Situation in
anderen europäischen Mitgliedstaaten – infolge des dort ebenso verfolgten Austeritätskonzeptes
– bereits erkennbar in dieselbe Richtung. In den übrigen Mitgliedstaaten, unter
anderem in Frankreich, wächst die Sorge vor den Konsequenzen erster geplanter
oder zu erwartender weiterer austeritätspolitischer Maßnahmen.
Wie also ist die Stimmung der Wähler so
kurz vor diesen Wahlen – speziell in Frankreich und in Griechenland?
Frankreich
In Frankreich haben sich die Umfragewerte
für den amtierenden Präsidenten Nicolas
Sarkozy (Union pour un mouvement populaire (UMP))
zuletzt nochmals verschlechtert. François
Hollande, Spitzenkandidat der Sozialisten (Parti Socialiste (PS)),
würde demnach die entscheidende zweite Wahlrunde am 6. Mai mit Werten zwischen
54 bis 57 Prozent für sich entscheiden können. In der ersten Wahlrunde wird
voraussichtlich keiner der Kandidaten über 50 Prozent kommen. (2)
Allerdings gibt es zwei wichtige
Entwicklungen, die nicht unerhebliche Unsicherheiten für den Wahlverlauf und
die aktuellen Wahlprognosen bedeuten:
Für eine Überraschung sorgt im
französischen Präsidentschaftswahlkampf der Gründer der extremen Linken (Parti de Gauche (PG)), Jean-Luc Mélenchon (61). Nach seinem
Austritt aus der PS im Jahr 2008 gründete er seine Partei nach dem Vorbild der
deutschen Linkspartei. (3) Anfangs als chancenlos angesehen, verzeichnet
Mélenchon, der sich u. a. für 1 700 Euro Mindestlohn, 100-prozentige
Besteuerung aller Monatseinkommen über 30 000 Euro und die Verstaatlichung
von Banken stark macht, nun schon seit Wochen steigende Umfragewerte. Noch im
November lag er bei nur 5 Prozent. Doch jetzt, kurz vor der ersten Wahlrunde,
liegt er in den Umfragen bei 15 Prozent und damit fast gleichauf mit Marine Le Pen von der rechtsextremen Front National (FN), die auf 16 Prozent
kommt. (4)
François Hollande und Nicolas Sarkozy
liegen derzeit bei 27 bis 29 Prozent und werden demnach in die Stichwahl am 6.
Mai gehen. Allerdings geht aus Umfragen auch hervor, dass aktuell ein Drittel
der 43 Millionen wahlberechtigten Franzosen erwägt, sich nicht an der Wahl zu
beteiligen, was für Frankreich ein Rekordwert ist und zusätzlich noch immer
viele Wähler unentschlossen sind, wem sie ihre Stimme geben wollen. (5)
Es gibt mit dem Ultralinken Mélenchon
einen unerwarteten Shootingstar, der dem Sozialisten Hollande das Wasser
abgräbt und die Wahlenthaltung könnte sehr hoch sein. Damit wird der Ausgang
der Wahl – allen Umfragetrends zum Trotz – sehr ungewiss.
Die Präsidentschaftswahl stand 2002 unter
ähnlichen Vorzeichen. Der damalige sozialistische Spitzenkandidat Lionel Jospin
(PS) unterlag in der ersten Wahlrunde völlig unerwartet dem damaligen
Spitzenkandidaten der Front National Jean-Marie Le Pen, der dann aber in der
zweiten Runde keine Chance gegen Jacques Chirac (UMP) mehr hatte. 28 Prozent
der Wähler hatten sich in der ersten Wahlrunde enthalten. (6)
Das Potenzial für Überraschungen ist
folglich gegeben. Doch selbst wenn die erste Wahlrunde erwartungsgemäß verläuft
und auch die Prognosen für den Ausgang der Stichwahl am 6. Mai sich bewahrheiten,
dann wäre die Fortsetzung des bisherigen Krisenkurses zumindest sehr fraglich –
nicht nur in Frankreich, sondern auch auf europäischer Ebene. Hollande ist
nicht Sarkozy – das würde auch Bundeskanzlerin Angela Merkel zu spüren
bekommen, erst recht, wenn der Ausgang der Landtagswahlen in Schleswig-Holstein
und Nordrhein-Westfalen die Position der beiden Regierungsparteien in Berlin
schwächt.
Griechenland
Die jüngsten Umfragen in Griechenland lassen
erwarten, dass die beiden führenden Parteien, die konservative Nea Dimocratia (ND) mit ihrem
Spitzenkandidaten Antonis Samaras
und die Sozialisten (PASOK) mit
ihrem neuen Vorsitzendem, dem ehemaligem Finanzminister Evangelos Venizelos, eine Koalitionsregierung werden bilden können.
Doch obwohl die stärkste Partei – voraussichtlich die Nea Dimocratia, die
aktuell je nach Umfrage nur noch zwischen 21,5 bis 25,4 Prozent der Stimmen
erwarten kann - nach griechischem Wahlrecht einen Bonus von 50 Sitzen im
Parlament erhält, wird es für die Koalition wahrscheinlich trotzdem nur für
eine hauchdünne Mehrheit im Parlament mit seinen insgesamt 300 Sitzen reichen.
Denn die PASOK kommt gegen-wärtig in den Umfragen trotz des Wechsels an der Spitze
nur auf knapp 16 Prozent der Stimmen. (7) Für Negativ-Schlagzeilen sorgte allerdings
vor ein paar Tagen erst die Verhaftung des früheren griechischen
Verteidigungsministers Apostolos-Athanasios Tsochatzopoulos (72) wegen Geldwäsche,
Bestechung und Steuerhinterziehung. Denn er war in der 1974 von Andreas
Papandreou - Vater des vor wenigen Monaten zurückgetretenen griechischen
Premiers Giorgos Papandreou - gegründeten Panhellenischen Sozialistischen
Bewegung (PASOK) ein Mann der ersten Stunde der Partei und zugleich dessen
enger Vertrauter. (8)
Für ND und PASOK kommt allerdings als
erheblicher Unsicherheitsfaktor eine hohe Zahl von unentschlossenen Wählern (25
Prozent) (9) hinzu. Zudem müssen die beiden führenden griechischen Parteien
anders als bisher nicht mehr nur mit drei weiteren Parteien um Wählergunst und
Sitze im Parlament konkurrieren. Vielmehr werden nach einer aktuellen Umfrage voraussichtlich
acht weitere Parteien die für den Einzug ins Parlament gesetzte Drei-Prozent-Hürde
überspringen: (10)
- Bündnis der Radikalen Linken (Syriza) (10,7 Prozent),
- Kommunistische Partei (KKE) (9.8 Prozent),
- Unabhängige Griechen (8,8 Prozent),
- Demokratische Linke (Dimokratiki Aristera, kurz: Dimar) (8,7 Prozent),
- Ökologische Grüne (3,6 Prozent),
- die nationalistische Laos Partei (3,1 Prozent),
- die neo-faschistische Partei Goldene Morgenröte (4,8 Prozent)
- die neoliberale Demokratische Allianz (3,0 Prozent)
Dabei wollen die Radikalen Linken und die Demokratische
Linke - im Gegensatz zur Kommunistischen
Partei –, dass Griechenland in der EU bleibt, lehnen jedoch die harten
Sparmaßnahmen ab. (11) (12) Letzteres gilt auch für die übrigen Parteien. Das
heißt, dass nur ND und PASOK hinter den von der Troika (Europäische Kommission,
EZB und Internationaler Währungsfonds) als Auflage für Hilfsgelder geforderten
Sparauflagen stehen (13) - und schon im Juni müssen weitere Sparmaßnahmen im
Volumen von 15 Milliarden Euro bis 2014 beschlossen werden (14).
Das ist insofern alarmierend, als nach einer
neuen Umfrage 66 Prozent der Griechen zwar für den Verbleib im Euro, aber gegen
die Umsetzung des für die Finanzhilfen obligatorischen drastischen Sparplans
sind. Nur 14,2 Prozent der Griechen sind demnach dafür, das Sparkonzept
weiterzuverfolgen, während sich 13,2 Prozent für den Austritt aus der Euro-Zone
aussprechen. (15)
Der Ausgang der Parlamentswahl in Griechenland
am 6. Mai ist vor diesem Hintergrund alles andere als sicher. Das Potenzial für
Überraschungen ist da.
Updates zu Wahlumfragen in Frankreich:
Hollande laut Umfragen schon in der ersten Runde vorne (v. 17.04.12)Updates zu Wahlumfragen in Griechenland:
As many as 10 parties could enter parliament, poll find (v. 18.04.12)PASOK and New Democracy: Still standing on Sunday? (v. 04.05.12)
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