In Griechenland jagt eine Wahlprognose die
andere. Seit feststeht, dass die Griechen am 17. Juni erneut Parla-mentswahlen
abhalten müssen, um dann – vielleicht – eine neue Regierung bilden zu können,
ergießt sich eine beispiellose Flut von Wahlumfragen und entsprechenden
Prognosen über das Land.
Wahlchancen der Parteien gemäß Umfragen
Einig sind sich die Meinungsforscher
offensichtlich darin, dass auch nach der Wahl am 17. Juni keine Partei alleine
die Regierung wird bilden können. Einig sind sie sich ebenso darin, dass es ein
Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der konservativen Nea Dimokratia (ND) und dem
Linksbündis Syriza geben wird bzw. zwischen deren Spitzenkandidaten Antonis
Samaras (ND) und Alexis Tsipras. Einige Umfragen sehen die ND als stärkste
Partei, andere sehen Syriza in Front liegen. Die Umfragewerte für diese beiden
Parteien schwanken im Vergleich jedoch sehr stark.
Alle andere Parteien, gerade auch die, die
am 6. Mai den Einzug ins Parlament schafften, scheinen gemäß Umfragen nur eine
untergeordnete Rolle zu spielen.
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Quellen: Amtliches Endergebnis der Wahl von 2009 (1) und vom 6. Mai 2012 (2); Umfragewerte (3) (4) (5) (6) (7)
Quellen: Amtliches Endergebnis der Wahl von 2009 (1) und vom 6. Mai 2012 (2); Umfragewerte (3) (4) (5) (6) (7)
Das gilt für die Kommunisten (K.K.E.), für
die „Unabhängigen Griechen“ (ANEL) mit ihrem Spitzenkandidaten Panos Kammenos
und für die neo-faschistische „Chrysi Aygi“ (Goldene Morgenröte), die in der
Tendenz alle gegenüber ihrem Wahlergebnis vom 6. Mai an Zustimmung zu verlieren
scheinen.
Für die PASOK, mit Evangelos Venizelos an der
Spitze, liegen die Umfragewerte meist etwas oberhalb des Wahlergebnisses vom 6.
Mai. Es hat jedoch nicht den Anschein, als könnte sich die Partei bei der kommenden
Wahl signifikant verbessern. Gemäß der jüngsten Umfrage kommt sie auf 13,5
Prozent der Stimmen. (8)
Die „Demokratische Linke“ (Dimar) lag in
den Umfragen anfangs über ihrem Ergebnis vom 6. Mai, zuletzt jedoch darunter.
Fotis Kouvelis (63), der Chef von Dimar, hatte bei den gescheiterten Koalitionsverhandlungen
eine zentrale Rolle als Vermittler zwischen Befürwortern (ND und PASOK) und
Gegnern des Sparkurses (insb. SYRIZA) gespielt. Die Gespräche waren
gescheitert, weil Syriza auf den Ausstieg aus den mit der Troika ausgehandelten
Sparbeschlüssen und Kouvelis auf einer Regierungskoalition mit Beteiligung von
Syriza bestanden hatte.
Kouvelis ist – so wie Syriza auch – für
den Verbleib im Euro und gegen den einseitigen Sparkurs, lehnt diesen aber
nicht in Bausch und Bogen ab, wie dies Syriza-Chef Tsipras tut. Er sieht
Reformbedarf in der staatlichen Verwaltung, etwa beim ineffizienten
Steuersystem, wie auch auf den heimischen Märkten im Sinne von mehr Wettbewerb.
Er setzt allerdings auf Verhandlungen, um Änderungen sowie ergänzende
Wachstumsmaßnahmen zu erreichen. Eine Regierungskoalition kann nach seiner
Auffassung nach dem 17. Juni nur dann erfolgreich arbeiten, wenn es
diesbezüglich eine klare, aussagekräftige und verbindliche Übereinkunft
zwischen den Koali-tionären gibt. Das hat er jüngst betont und damit bereits
eine rote Linie für Dimar in neuen Koalitionsverhand-lungen gezogen, was man –
bei allem Entgegenkommen gegenüber Syriza – auch als unmissverständliche Mahnung
an deren Chef Tsipras verstehen kann, die eigenen Positionen zu klären, das
wirklich Machbare in den Blick zu nehmen und sich zu bewegen. (9)
Aus der Flut von Umfragen kann man
zusammenfassend zunächst einmal nur schließen, dass sich daraus kein klares
Bild ergibt – jedenfalls nicht im Hinblick auf die Frage, wer stärkste
politische Kraft wird und wie eine Regierungskoalition aussehen könnte. Insofern
kann man durchaus feststellen, dass die Umfrageflut zur Verunsicherung
beiträgt.
Viel Skepsis bezüglich der Aussagekraft der Umfragen
Zudem ist die Skepsis bezüglich der
Aussagekraft der Umfragen groß, insbesondere wegen des scheinbaren
Kopf-an-Kopf-Rennens von Nea Dimokratia und Syriza. So gibt es beispielsweise
durchaus Stimmen, die Antonis Samaras von der ND bescheinigen, durch allzu häufige
Richtungswechsel sowie durch das Zurückrudern von zunächst formulierten
Forderungen seine Glaubwürdigkeit bei den Griechen verspielt zu haben. (10)
Andere spiegeln die Umfragewerte der führenden Parteien und das, wofür sie
stehen, an den Aussagen von Menschen überall in ihrem Umfeld und gelangen zu
dem Schluss, dass sich das Stimmungsbild fortlaufend stark verändert und der
Wahlausgang höchst unsicher ist: (11)
„Ich werde nie wieder die ND und die PASOK wählen. Das sind Diebe und Verräter.“„Ich habe meinen Job verloren und keine Ersparnisse. Ich werde Syriza wählen. Was kann ich denn noch verlieren?““Wir brauchen einen neuen Papadopoulos (gemeint ist der verstorbene führende Kopf der griechischen Militärdiktatur ab 1967)“„Syriza ist die einzige Partei, die sich gegen die Deutschen, die Kapitalisten und die gierigen Banker stellt.“„Die Parteien schützen die Staatsdiener und deren Interessen. Die einzigen, die ihren Job verloren haben, waren die in der Privatwirtschaft. Ich werde Syriza wählen damit es schneller zum Kollaps kommt.“„Ich hasse die Nea Dimokratia, aber ich wähle sie diesmal weil ich fürchte, Griechenland könnte den Euro verlassen, falls Syriza gewinnt.“„Nea Dimokratia und PASOK betreiben Panikmache. Europa und die Deutschen haben Angst und bluffen.”
Andreas Koutras, der in einem Kommentar
diese Aussagen aufführt, kommt deswegen bezüglich der Umfragen zu dem Fazit,
bei den Griechen seien vor der anstehenden Wahl eine Menge Wut und Verzweiflung
im Spiel. Mit Logik und rationalen Argumenten komme man da nicht weiter. Die
Wähler säßen in der Falle. Sie fühlten sich emanzipiert, weil sie zum ersten
Mal nicht für die beiden großen Parteien (ND und PASOK) gestimmt hätten. Gleichzeitig
würden ihnen aber die zur Wahl stehenden Alternativen Angst einjagen. (12) Der
Mangel an charismatischen und zugleich fähigen Politikern scheint ein zentrales
Problem in der bevorstehenden Wahl zu sein. (13)
Was wollen die Griechen laut Umfragen?
- 66 Prozent eine Koalitionsregierung,
- 81 Prozent, dass Griechenland im Euro bleibt,
- 52,4 Prozent, dass Griechenland im Euro bleibt, auch wenn es dann gezwungen ist, die festgelegten Austeritätsmaßnahmen umzusetzen,
- 44,5 Prozent, dass Griechenland die Euro-Zone verlässt, wenn die Euro-Partner auf Umsetzung der festgelegten Austeritätsmaßnahmen beharren sollten,
- 77 Prozent, dass die festgelegten Bedingungen für die Finanzhilfen geändert werden.
Demnach sind die meisten Griechen
eindeutig dagegen, den vereinbarten Sanierungskurs in der bisherigen Form, das
heißt unverändert, mitzutragen. Man kann hingegen nicht sagen, die Griechen lehnten
alle ausgehandelten Maßnahmen kategorisch ab. Wenn die Euro-Partner und der
Internationale Währungsfonds sich nicht auf Änderungen einlassen und dies
bedeuten sollte, dass Griechenland die Euro-Zone verlassen muss, wenn es also
hart auf hart kommt, dann sind zwar gut die Hälfte der Griechen bereit, die
Umsetzung der ausgehandelten Maßnahmen zu akzeptieren. Aber knapp die Hälfte
der Griechen ist dann nicht mehr bereit, diesen Preis für den Verbleib im Euro
zu bezahlen, was eine alarmierend hohe Zahl ist. Das ist somit in jedem Fall
etwas, was die Euro-Partner mit Blick auf die absolut ähnlich verlaufende
Entwicklung in anderen europäischen Schuldenstaaten und unabhängig von den
möglichen Konsequenzen für die Finanzmärkte sehr ernst nehmen müssen.
Wähleranalyse
Hinweise darauf, wie sich die Griechen in
der bevorstehenden Wahl verhalten könnten, ergeben sich vielleicht auch aus der
Wähleranalyse für die Parteien bei der Wahl am 6. Mai. Denn die meisten Wähler
dürften ihre Haltung zu Parteien und zu grundsätzlichen inhaltlichen Fragen
nicht so rasch ändern.
Das Linksbündnis Syriza war der große
Wahlgewinner. Drei Gründe wurden dafür ausgemacht: (16)
- Erstens hat Syriza die meisten Stimmen in der Gruppe der unter 50-jährigen bekommen. Auch die „Unabhängigen Griechen“ sowie die neo-faschistische „Chrysi Aygi“ (Goldene Morgenröte) haben in diesem Segment gut abgeschnitten. ND und PASOK haben nur im Segment der 50-65-jährigen am stärksten abgeschnitten.
- Zweitens hat Syriza sowohl bei den arbeitslosen Wählern (21,5 Prozent) als auch bei denen, die im privaten sowie im öffentlichen Sektor beruflich tätig sind (18 Prozent), viele Stimmen gesammelt. Die ND hat bei den Arbeitslosen nur 12,5 Prozent der Stimmen geholt, die PASOK sogar nur 6,5 Prozent. Bei den Beschäftigten kam die ND auf 14 Prozent und die PASOK auf 11 Prozent. Stattdessen erhielten ND und PASOK mehr Unterstützung aus der Gruppe der Hausfrauen und Rentner.
- Drittens hat Syriza auch in den drei größten griechischen Städten, nämlich Athen, Patra und Thessaloniki erheblich besser abgeschnitten als ND und PASOK. Die beiden letztgenannten haben dagegen in den ländlichen Bezirken besser abgeschnitten.
Daraus lässt sich schließen, dass ND und
PASOK generell bei den Erwerbsfähigen und insbesondere bei denen, die auf eine
funktionierende Wirtschaft angewiesen sind, weil sie noch viele Jahre im
Berufsleben stehen, massiv an Rückhalt verloren haben. Insofern ist ihr
schlechtes Abschneiden ein Misstrauensvotum des die Wirtschaft tragenden Teils
der Bevölkerung gegenüber beiden Parteien, die wirtschaftlichen Probleme
Griechenlands lösen zu können. Es ist besonders bemerkenswert, dass es nicht
nur – wie man vielleicht erwartet haben könnte - die Arbeitslosen waren, die
Syriza ihre Stimme gaben, sondern gerade auch Berufstätige.
Aufschlussreich ist darüber hinaus auch,
warum die neo-faschistische „Chrysi Aygi“ (Goldene Morgenröte) bei der Wahl am
6. Mai so unerwartet stark abschnitt (6,97 Prozent). Eine aktuelle Untersuchung
ergab bezüglich der Motivation der Wähler dieser Partei folgendes Ergebnis: (17)
- 60 Prozent waren Protestwähler,
- 29,3 Prozent wollten, dass etwas gegen illegale Immigranten unternommen wird und
- 4,8 Prozent beschrieben sich selbst als „extrem rechts“.
Hier zeigt sich, dass es keinen echten
Rechtsruck in Griechenland gibt. Berücksichtigt man des Weiteren, dass vor der
Wahl am 6. Mai niemand in Griechenland ernsthaft damit gerechnet hat, dass
Syriza, die bei der Wahl im Jahr 2009 lediglich 4,6 Prozent der Stimmen bekam, ein
so starkes Ergebnis (16,78 Prozent) einfahren würde, dann lässt dies durchaus Rückschlüsse
auf das Wählerverhalten am 17. Juni zu.
Denn offensichtlich ging es den Griechen
am 6. Mai darum, die ND und PASOK abzuwählen ohne – eingedenk der Tücken des
diese beiden Parteien begünstigenden Wahlsystems – eine konkrete Möglichkeit zu
sehen, wie das gelingen kann. Das Resultat war, dass viele verschiedene
kleinere Parteien gewählt wurden. Wenn dies jedoch nach wie vor der zentrale
Wunsch vieler Griechen ist, dann könnte die Tatsache, dass sie nun wissen, dass
es eine aussichtsreiche Partei gibt, die genügend Stimmen auf sich vereinen
kann, um stärkste Partei zu werden und eine Regierung – möglichst ohne ND und
PASOK – zu bilden, für den Wahlausgang entscheidend sein.
Darauf deuten im Prinzip auch die Umfragen
hin. Denn trotz aller Unterschiede in den Prognosewerten lassen sie erkennen,
dass – seit dem 6. Mai – erstens Syriza stark hinzugewonnen hat, während die
kleineren Parteien, die ins Parlament gewählt wurden, wieder verloren haben
(siehe Tabelle) und die PASOK stagniert.
Die einzigen Umfragewerte, die dabei nicht
so recht ins Bild passen, sind die der Nea Dimokratia. Es ist nicht ohne
weiteres nachvollziehbar, woher die prognostizierten Stimmenzuwächse herkommen
sollen.
Der Ausgang der Wahl in Griechenland am
17. Juni ist vielleicht weniger ungewiss, als es vor dem Hintergrund der
vielen, stark voneinander abweichenden Wahlprognosen und der (wegen der Interessenlage
im Konflikt zwischen Griechenland und den Euro-Partnern über die
Bedingungen für Finanzhilfen) insgesamt recht tendenziösen Berichterstattung in
Presse und Medien erscheinen mag.
Darüber hinaus deutet das überraschende
Einlenken der Europäischen Kommission bei den Sparanstrengungen Spaniens (18)
und sogar gegenüber Ungarn (19) darauf hin, dass man auf europäischer Ebene
bereits den Abschied vom einseitigen strikten Spardiktat vorbereitet.
Vor diesem Hintergrund verblasst dann auch
die zornige Forderung der IWF-Chefin Christine Lagarde, die Griechen sollten
sich selbst helfen und ihre Steuern zahlen. (20) Das gilt umso mehr, als das
Sanierungskonzept des IWF bzw. der Washington Consensus ohnehin schon lange in
der Kritik steht, die auch in Griechenland zu besichtigende wirtschaftliche und
finanzielle Abwärtsspirale in Gang zu setzen. (21) Das wird auch in
Griechenland gesehen. (22) (23) Nur noch eine Randnotiz ist es, dass Frau
Lagarde selbst ziemlich gut verdient, aber keine Steuern zahlt (24). Die Pointe
verkneife ich mir.
Wahlumfragen-Update (Stand: 1. Juni):
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Quelle: ekathimerini.com (25)
Quelle: ekathimerini.com (25)
Für eine Regierungsmehrheit im 300 Sitze zählenden Parlament sind 151 Sitze erforderlich. Bei der Wahl am 6. Mai kamen Nea Dimokratia (108 Sitze) und PASOK (41 Sitze) zusammen nur auf 149 Sitze (Syriza (52 Sitze), ANEL (33 Sitze), K.K.E. (26 Sitze), Chrysi Aygi (21 Sitze), Dimar (19 Sitze)).
Die Koalitionsgespräche für eine Regierung unter Einschluss mindestens
einer weiteren Partei scheiterten. Deswegen wird in Griechenland am 17. Juni erneut
gewählt.
Das Linksbündnis Syriza hat sich in der Zwischenzeit als Partei mit dem
Namen „Syriza Soziales Unionsbündnis“ (26) neu gegründet, um im Falle eines
Wahlsieges den der stärksten Partei nach griechischem Wahlrecht zustehenden
Bonus von 50 Sitzen bekommen zu können (27). Aus der Tabelle, die auf einem
Bericht von ekathimerini.com vom 1. Juni basiert, geht hervor, dass dieser Bonus
Syriza bei der Umrechnung des in der Umfrage erreichten Stimmenanteils in Sitze
bereits mit einberechnet worden ist.
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