Freitag, 29. Juni 2012

EU-Gipfel: Das Waterloo der Bundesregierung


Es sollte ein Wachstumsgipfel werden, aber es war ein Schuldengipfel. Im Vordergrund standen ganz klar Entscheidungen über Maßnahmen, mit denen man eine Eskalation der Schuldenkrise verhindern zu können hofft. Sie zielen auf zwei zentrale Brandherde: die krisenverschärfenden Wechselwirkungen zwischen den Schulden-problemen der Krisenstaaten und denen des jeweiligen nationalen Bankensektors sowie die hohen und weiter steigenden Zinsen für Staatsanleihen von Krisenstaaten.
Die Einigung umfasst im Wesentlichen Folgendes, auch wenn die Details noch geklärt werden müssen: (1)
  1. Es wird eine zentrale Bankenaufsicht für die europäische Währungsgemeinschaft geben, die über den nationalen Aufsichtsbehörden stehen und bei der Europäischen Zentralbank angesiedelt sein wird; sie wird weitergehende Befugnisse als die bisherige, in London angesiedelte Europäische Bankenaufsicht (EBA) haben, einschließlich der Schließung bzw. Abwicklung nicht sanierungsfähiger Banken (2);
  2. Banken können künftig direkte Hilfen aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) erhalten; diese Bankennotkredite werden folglich künftig nicht mehr die Staatsfinanzen der jeweiligen Krisenstaaten belasten;
  3. Der ESM wird in bestimmten Fällen auf seine Rolle als „bevorzugter Gläubiger“ verzichten; seine Kredite werden also gegenüber denen privater Gläubiger nicht mehr vorrangig behandelt werden; im Falle einer Pleite müssen öffentliche Geldgeber genauso verzichten wie private Gläubiger;
  4. Euro-Krisenstaaten mit guter Haushaltsführung, die auf den Finanzmärkten unter Druck geraten und (wegen steigender Zinsen) Refinanzierungsprobleme bekommen, sollen vom Sommer an Unterstützung vom EFSF bzw. ESM erhalten können und zwar ohne zusätzliche Sparmaßnahmen, ohne Troika-Einsatz und ohne strenge Sparauflagen.
  5. Anders als bisher geplant wird kein Nachfolger für den luxemburgischen Regierungschef Jean-Claude Juncker als Euro-Gruppenchef bestimmt werden. Juncker wird diese Rolle weiterhin übernehmen – für zumindest ein weiteres Jahr.
  6. Zudem wurde der anvisierte Wachstumspakt für Beschäftigung beschlossen. Insgesamt 120 Milliarden Euro sollen dafür eingesetzt werden – 55 Milliarden Euro aus den EU-Strukturfonds, 60 Milliarden über zinsgünstige Kredite der Europäischen Investitionsbank (EIB) und 5 Milliarden für sogenannte Projekt-bonds.
Die Bundesregierung hatte sich zuvor konsequent gegen direkte Bankhilfen aus dem EFSF/ESM (Punkt 2) und ebenso kategorisch gegen den von Italiens Premier Mario Monti ins Gespräch gebrachten Aufkauf von Staats-anleihen durch den EFSF/ESM (Punkt 4) ausgesprochen. Nun sollen heute Bundestag und Bundesrat den Weg für einen ESM freimachen, der beides noch überhaupt nicht vorsieht. Zudem hatte sich die Bundesregierung in den vergangenen Wochen bemüht, eine Mehrheit für Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble als neuen Euro-Gruppenchef zu finden. Auch das ist nicht gelungen.
Unter dem Strich betrachtet ist der EU-Gipfel für die Bundesregierung ein politisches Desaster. Damit beginnt das einzutreten, was sich seit der Präsidentschaftswahl in Frankreich bereits andeutete: Die Bundesregierung kann den von ihr favorisierten europäischen Krisenkurs nicht mehr durchsetzen. Eine Veränderung zeichnet sich, anders als von der Bundesregierung antizipiert, nicht nur in Bezug auf das Management der Schuldenkrise in den Krisenstaaten ab – neben die Sparanstrengungen treten ergänzende Wachstumsprogramme –, sondern auch beim Management der Schuldenkrise auf den Finanzmärkten.
Es sind unbestritten auf europäischer bisher keine wirksamen Maßnahmen ergriffen worden, um die Finanzmärkte zu beruhigen und so den von dort ausgehenden krisenverschärfenden Druck auf die Schuldenstaaten nachhaltig zu reduzieren. Es ist müßig darüber zu diskutieren, ob er in der gegebenen Ausprägung angemessen und gerechtfertigt ist oder nicht. Er ist da und er verschärft die Krise.
Die europäische Krisenstrategie war es bisher, die Schuldenstaaten auf Sparkurs zu bringen und diesen gegebenenfalls weiter zu verschärfen, um die Märkte so zu beruhigen. Parallel dazu hat die EZB auf eigene Rechnung den Druck seitens der Märkte zu reduzieren versucht – über den Ankauf von Staatsanleihen und billige Kredite für den europäischen Bankensektor. Beides hat jeweils nur kurzfristige Linderung gebracht, aber keine nachhaltige Lösung.
Jetzt soll augenscheinlich regulierungsseitig ein verbreiterter Handlungsrahmen geschaffen und bei der EZB angesiedelt werden. Gleichzeitig wird durch Erweiterung der Funktionen und Aufgaben des ESM die EZB zumindest zum Teil von Feuerwehreinsätzen entlastet, die der Stützung von Banken und letztlich vor allem von Schuldenstaaten dienen. Anders als bisher werden damit die Voraussetzungen verändert, um gegen eine spekulativ getriebene Überhöhung der Schuldenkrise vorgehen zu können.
Es ist die Frage, ob diese Änderungen es ermöglichen, eine Verschärfung der Schuldenkrise abzuwenden und diese letztlich auch in den Griff zu bekommen. Der finanzielle Einsatz wird dadurch für die Euro-Staaten jedenfalls nicht sinken, sondern mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit – insbesondere infolge der veränderten Rolle des ESM - steigen. Wenn die Rechnung, die den beschlossenen Schritten zugrunde liegt, aufgeht, der finanzmarktseitige Druck auf die Schuldenstaaten also deutlich sinkt und diese aus der wirtschaftlichen Abwärts-spirale herausfinden würden, wäre das letztlich kein Problem. Doch gerade letzteres ist fraglich. Mit wachstums- und beschäftigungsstimulierenden Konjunkturpaketen alleine sind die wirtschaftsstrukturellen Probleme in einer Reihe von Krisenstaaten jedenfalls nicht zu lösen. Es sind allenfalls Sofortmaßnahmen, die etwas Luft verschaf-fen.
Darüber hinaus ist die eingeleitete weitergehende politische Integration kritisch zu beurteilen, so lange nicht die nötige demokratische Legitimation gewährleistet ist. Es sei daran erinnert, dass die Europäische Union in dieser Hinsicht von Beginn an erhebliche Defizite aufgewiesen hat. An dieser Front hat sich die Situation mit den aktuellen Entscheidungen des aktuellen EU-Gipfels keinesfalls verbessert. Die Entscheider haben einmal mehr gezeigt, dass ihnen der eigene Handlungsspielraum bedeutend wichtiger ist.
An den Aktienmärkten werden die EU-Gipfelentscheidungen gefeiert. Sie haben auch nach jedem anderen Gipfeltreffen gefeiert – weil keine wesentlichen Einschränkungen des Casino-Betriebes auf den Weg gebracht worden waren. Es ist zu früh, den EU-Gipfel in diese Gipfelkategorie einzusortieren. Die Beschlüsse könnten sich je nach konkreter Ausgestaltung und Implementation als eine ausbaufähige Basis erweisen, um Finanzmarkt-risiken einzudämmen. Aber das hat man über die insbesondere von Paul Volcker vorangetriebenen Pläne für eine US-Finanzmarktreform anfangs auch sagen können. Zudem sind Europas Probleme leider weitreichender.

1 Kommentar:

  1. Angela sollte sofort gestürzt werden. 29.06.2012:
    Tag des Deutschen Niedergangs!

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