Dienstag, 5. Juni 2012

Europa vor der Quadratur des Kreises: Zwischen Wachstum, Austerität und Finanzmarktstabilität


Jetzt, da sich die schlechten Nachrichten vor allem aus Europa, Asien und den USA und von den Börsen häufen, steigt der Entscheidungsdruck auf die politischen Akteure allerorten und nähert sich dem „roten Bereich“. Jeder weiß: Sollte sich die Situation nicht rasch von selbst wieder entschärfen, wird es für die Entscheider in Politik und Notenbanken schon sehr bald unvermeidlich werden, etwas zu unternehmen. „Mehr Geld“, das war bisher, das heißt seit der Lehman-Pleite im September 2008, in solchen Situationen die Standardantwort – und es gab bereits zu viele davon.
„Zu viele“ solcher Situationen waren es deswegen, weil unmittelbar nach der Lehman-Pleite unklar war wie die Krise bewältigt werden könnte. Immerhin hatte es im Grunde auch den Glauben gegeben, die ganz große Geldspritze würde im Kampf gegen die Krise nicht nur Zeit kaufen, sondern mithin auch die kränkelnden Märkte heilen helfen.
Letzteres hat sich als Trugschluss erwiesen – jedes Mal. Und dennoch wurde jedes Mal, wenn es wieder brenzlig wurde, erneut zur großen Geldspritze gegriffen, weil all die Zeit, die man sich um den Preis hoher und immer höher steigender Staatsschulden erkaufte, nicht genutzt wurde, um sich nicht nur Klarheit über die geeignete Krisenstrategie zu verschaffen, sondern sich auch auf deren Umsetzung zu verständigen.
Ben Bernanke ist es schon lange leid, für die konzeptionslose, unverständige, zerstrittene und politisch paralysierte Washingtoner Elite den Job zu machen. Auch Mario Draghi ist es leid, der Ausbügler für die ebenso ratlosen wie zerstrittenen europäischen Staats- und Regierungschefs zu sein. Und immer mehr Bürger in den Krisenstaaten sind ihre Politiker leid. Sie sind es leid, dass ihre Politiker dicke Schecks ausstellen und es dennoch für sie in ihrem Land immer weiter bergab geht. Sie sind es leid, dass sich ihre Politiker aus der Verantwortung stehlen und stattdessen ihnen alle Lasten aus der miserablen Krisenpolitik aufbürden. Sie sind auch das Schmierentheater leid, mit dem sie ihre miserable Leistung zu verschleiern und zu beschönigen trachten.
Das ist die Situation.
In Europa markieren die Wahlen in Griechenland und Frankreich am 6. Mai einen Wendepunkt. Es ist der Punkt an dem das schwächste Glied in der Kette, nämlich die Bürger, die Wahlen dazu nutzte, ihren Regierungs-politikern zu verdeutlichen, dass sie schon zu lange im „roten Bereich“ manövrierten.
Am 17. Juni wird in Griechenland nochmals gewählt.
Die beiden etablierten Parteien Nea Dimokratia und PASOK haben das Land in die Krise gesteuert und es bis heute in regierungsverantwortlicher Position nicht geschafft, die Talfahrt zu stoppen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit, diese Prognose wage ich, werden nach dieser Wahl beide Parteien bei der Krisenbewältigung keine maßgebliche Rolle mehr spielen. Es wäre mittlerweile sogar nicht einmal mehr unvorstellbar, dass es möglich sein könnte eine Koalitionsregierung zu bilden, an der weder Nea Dimokratia noch PASOK beteiligt sind.
Und es könnte genau dieses Szenario sein, welches an den Finanzmärkten bereits Abwärtsdruck erzeugt. Denn damit wäre eine weitere Wendmarke erreicht: die neue griechische Regierung würde den bisherigen europäischen Krisenkurs erstmals stoppen.
Es ist - allen in Presse und Medien geäußerten Befürchtungen zum Trotz – sehr unwahrscheinlich, dass dies zu einer Auf- bzw. Abspaltung der Euro-Zone führen wird.
Einmal wird schon aus politischen Gründen niemand in Europa den Anfang vom Ende der Währungsunion riskieren wollen. Es mag zwar sein, dass der Internationale Währungsfonds in dieser Frage weniger zimperlich ist und im Falle Griechenlands kompromisslos bei seiner durch den Washington Consensus vorgezeichneten Sanierungslinie bleibt und bereit ist, dafür notfalls die Zahlungen an Griechenland einzustellen.
Allerdings haben die Europäer mit dem permanenten European Stability Mechanism (ESM) sehr bewusst eine Art „Europäischer Währungsfonds“ geschaffen, um unabhängig und allein im europäischen Interesse helfen und handeln zu können. Der IWF kann das nicht und das wird vor allem auch heißen, dass er sich nicht ohne weiteres vom Washington Consensus verabschieden kann, bloß weil Griechenland und – am Ende des Tages – vielleicht auch die EU das so wollen. Dass die sogenannte Troika (EZB, EU-Kommission und IWF) zerbrechen könnte erscheint vor diesem Hintergrund gegenüber der Alternative, nämlich dem beginnenden Zerfall der Euro-Zone, für die Europäer im Zweifelsfalle das geringere Übel zu sein. Die Situation in Spanien und Portugal ist auch viel zu heikel, als dass dies bei Verhandlungen mit einer neuen griechischen Regierung unberücksichtigt gelassen werden könnte.
Andererseits wird der IWF aber auch die Konsequenzen eines Stopps der finanziellen Hilfen an Griechenland für die Finanzmärkte im Auge haben müssen – schon allein mit Blick auf die diesbezügliche Interessenlage an der Wall Street und damit auch in Washington am „Vorabend“ der US-Präsidentschaftswahl. Eine neue Finanz-marktkrise kann weder Obama noch Mitt Romney gebrauchen. Die Lage in den USA ist auch so schon alles andere als rosig. Es braucht nicht viel, damit es zu neuen, heftigen Turbulenzen kommt. Das ist der Fluch der seit Monaten anhaltenden politischen Handlungsstarre. Die Probleme wuchern ganz prächtig und ungebremst in den USA.
Zuletzt gilt für den Fall Griechenland aber auch: Nichts wird so heiß gegessen wie es im Wahlkampf gekocht wird. Sicher, Alexis Tsipras wird alles tun, um in den Augen seiner Wähler nach der Wahl glaubwürdig zu sein. Aber er wird kaum alleine regieren können und es ist nicht davon auszugehen, dass ein oder gar zwei Koalitions-partner sein Regierungsprogramm 1:1 übernehmen. Insofern ergeben sich Spielräume für akzeptable Lösungen in Neuverhandlungen zumindest mit den Euro-Partnern.
Die Regierungen in den anderen europäischen Schuldenstaaten werden diese Entwicklung mit höchster Aufmerksamkeit verfolgen. Seit Ende April hat die Debatte um eine Abkehr von der einseitig aufs Sparen ausge-richteten europäischen Krisenstrategie ohnehin stark an Fahrt gewonnen. Allein in der Frage wie eine neue, um eine Wachstumskomponente ergänzte europäischen Krisenstrategie aussehen könnte, gibt es bis heute höchst divergierende und alles in allem auch immer noch nur sehr vage Vorstellungen.
Es spricht vieles dafür, dass sich dies erst im Zuge der wahrscheinlichen Neuverhandlungen mit Griechenland ändern wird und es eine Art „training on the job“ werden wird, kein Entwurf am Reißbrett. Was mit Griechenland am Ende ausgehandelt wird, wird vermutlich nicht gleich die Blaupause für die neue europäische Krisenstrategie sein. Aber es ist durchaus wahrscheinlich, dass es für die neue europäische Krisenstrategie richtungsweisend sein wird. Griechenland wir einmal mehr zum Labor für Europa, allerdings liegt das dieses Mal in seinem Interesse.
Sollte sich herauskristallisieren, dass die Finanzmärkte dabei von dieser Seite her in ihren Möglichkeiten, von der Staatsschuldenkrise in Europa zu profitieren, künftig eingeschränkt werden, dann wird sich das an den Börsen widerspiegeln. Genau genommen haben die Börsen bereits begonnen, dies einzupreisen.
Europa braucht eine Lösung für Griechenland. Die ineffektiv regulierten, von riskanten Wetten und sehr großen Spielern geprägten Finanzmärkte sind dabei ein schlechter Lotse. Das hätten die Staats- und Regierungschefs schon vor zweieinhalb Jahren erkennen können und müssen. Ob sie es jetzt tun, das ist aus Sicht der Finanz-märkte die wohl entscheidende Frage.

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