Jetzt, da sich die schlechten Nachrichten vor
allem aus Europa, Asien und den USA und von den Börsen häufen, steigt der
Entscheidungsdruck auf die politischen Akteure allerorten und nähert sich dem „roten
Bereich“. Jeder weiß: Sollte sich die Situation nicht rasch von selbst wieder entschärfen,
wird es für die Entscheider in Politik und Notenbanken schon sehr bald unvermeidlich
werden, etwas zu unternehmen. „Mehr Geld“, das war bisher, das heißt seit der Lehman-Pleite
im September 2008, in solchen Situationen die Standardantwort – und es gab
bereits zu viele davon.
„Zu viele“ solcher Situationen waren es
deswegen, weil unmittelbar nach der Lehman-Pleite unklar war wie die Krise
bewältigt werden könnte. Immerhin hatte es im Grunde auch den Glauben gegeben, die
ganz große Geldspritze würde im Kampf gegen die Krise nicht nur Zeit kaufen,
sondern mithin auch die kränkelnden Märkte heilen helfen.
Letzteres hat sich als Trugschluss
erwiesen – jedes Mal. Und dennoch wurde jedes Mal, wenn es wieder brenzlig
wurde, erneut zur großen Geldspritze gegriffen, weil all die Zeit, die man sich
um den Preis hoher und immer höher steigender Staatsschulden erkaufte, nicht
genutzt wurde, um sich nicht nur Klarheit über die geeignete Krisenstrategie zu
verschaffen, sondern sich auch auf deren Umsetzung zu verständigen.
Ben Bernanke ist es schon lange leid, für
die konzeptionslose, unverständige, zerstrittene und politisch paralysierte
Washingtoner Elite den Job zu machen. Auch Mario Draghi ist es leid, der
Ausbügler für die ebenso ratlosen wie zerstrittenen europäischen Staats- und Regierungschefs
zu sein. Und immer mehr Bürger in den Krisenstaaten sind ihre Politiker leid. Sie
sind es leid, dass ihre Politiker dicke Schecks ausstellen und es dennoch für
sie in ihrem Land immer weiter bergab geht. Sie sind es leid, dass sich ihre
Politiker aus der Verantwortung stehlen und stattdessen ihnen alle Lasten aus
der miserablen Krisenpolitik aufbürden. Sie sind auch das Schmierentheater
leid, mit dem sie ihre miserable Leistung zu verschleiern und zu beschönigen
trachten.
Das ist die Situation.
In Europa markieren die Wahlen in
Griechenland und Frankreich am 6. Mai einen Wendepunkt. Es ist der Punkt an dem
das schwächste Glied in der Kette, nämlich die Bürger, die Wahlen dazu nutzte,
ihren Regierungs-politikern zu verdeutlichen, dass sie schon zu lange im „roten Bereich“
manövrierten.
Am 17. Juni wird in Griechenland nochmals
gewählt.
Die beiden etablierten Parteien Nea
Dimokratia und PASOK haben das Land in die Krise gesteuert und es bis heute in
regierungsverantwortlicher Position nicht geschafft, die Talfahrt zu stoppen. Mit
hoher Wahrscheinlichkeit, diese Prognose wage ich, werden nach dieser Wahl beide
Parteien bei der Krisenbewältigung keine maßgebliche Rolle mehr spielen. Es wäre
mittlerweile sogar nicht einmal mehr unvorstellbar, dass es möglich sein könnte
eine Koalitionsregierung zu bilden, an der weder Nea Dimokratia noch PASOK
beteiligt sind.
Und es könnte genau dieses Szenario sein, welches
an den Finanzmärkten bereits Abwärtsdruck erzeugt. Denn damit wäre eine weitere
Wendmarke erreicht: die neue griechische Regierung würde den bisherigen europäischen
Krisenkurs erstmals stoppen.
Es ist - allen in Presse und Medien geäußerten
Befürchtungen zum Trotz – sehr unwahrscheinlich, dass dies zu einer Auf- bzw. Abspaltung
der Euro-Zone führen wird.
Einmal wird schon aus politischen Gründen
niemand in Europa den Anfang vom Ende der Währungsunion riskieren wollen. Es
mag zwar sein, dass der Internationale Währungsfonds in dieser Frage weniger
zimperlich ist und im Falle Griechenlands kompromisslos bei seiner durch den
Washington Consensus vorgezeichneten Sanierungslinie bleibt und bereit ist,
dafür notfalls die Zahlungen an Griechenland einzustellen.
Allerdings haben die Europäer mit dem permanenten
European Stability Mechanism (ESM) sehr bewusst eine Art „Europäischer
Währungsfonds“ geschaffen, um unabhängig und allein im europäischen Interesse helfen
und handeln zu können. Der IWF kann das nicht und das wird vor allem auch
heißen, dass er sich nicht ohne weiteres vom Washington Consensus verabschieden
kann, bloß weil Griechenland und – am Ende des Tages – vielleicht auch die EU
das so wollen. Dass die sogenannte Troika (EZB, EU-Kommission und IWF) zerbrechen
könnte erscheint vor diesem Hintergrund gegenüber der Alternative, nämlich dem
beginnenden Zerfall der Euro-Zone, für die Europäer im Zweifelsfalle das
geringere Übel zu sein. Die Situation in Spanien und Portugal ist auch viel zu
heikel, als dass dies bei Verhandlungen mit einer neuen griechischen Regierung
unberücksichtigt gelassen werden könnte.
Andererseits wird der IWF aber auch die
Konsequenzen eines Stopps der finanziellen Hilfen an Griechenland für die
Finanzmärkte im Auge haben müssen – schon allein mit Blick auf die diesbezügliche
Interessenlage an der Wall Street und damit auch in Washington am „Vorabend“
der US-Präsidentschaftswahl. Eine neue Finanz-marktkrise kann weder Obama noch
Mitt Romney gebrauchen. Die Lage in den USA ist auch so schon alles andere als
rosig. Es braucht nicht viel, damit es zu neuen, heftigen Turbulenzen kommt. Das
ist der Fluch der seit Monaten anhaltenden politischen Handlungsstarre. Die
Probleme wuchern ganz prächtig und ungebremst in den USA.
Zuletzt gilt für den Fall Griechenland
aber auch: Nichts wird so heiß gegessen wie es im Wahlkampf gekocht wird. Sicher,
Alexis Tsipras wird alles tun, um in den Augen seiner Wähler nach der Wahl
glaubwürdig zu sein. Aber er wird kaum alleine regieren können und es ist nicht
davon auszugehen, dass ein oder gar zwei Koalitions-partner sein
Regierungsprogramm 1:1 übernehmen. Insofern ergeben sich Spielräume für akzeptable
Lösungen in Neuverhandlungen zumindest mit den Euro-Partnern.
Die Regierungen in den anderen
europäischen Schuldenstaaten werden diese Entwicklung mit höchster
Aufmerksamkeit verfolgen. Seit Ende April hat die Debatte um eine Abkehr von
der einseitig aufs Sparen ausge-richteten europäischen Krisenstrategie ohnehin
stark an Fahrt gewonnen. Allein in der Frage wie eine neue, um eine
Wachstumskomponente ergänzte europäischen Krisenstrategie aussehen könnte, gibt
es bis heute höchst divergierende und alles in allem auch immer noch nur sehr
vage Vorstellungen.
Es spricht vieles dafür, dass sich dies
erst im Zuge der wahrscheinlichen Neuverhandlungen mit Griechenland ändern wird
und es eine Art „training on the job“ werden wird, kein Entwurf am Reißbrett. Was
mit Griechenland am Ende ausgehandelt wird, wird vermutlich nicht gleich die
Blaupause für die neue europäische Krisenstrategie sein. Aber es ist durchaus wahrscheinlich,
dass es für die neue europäische Krisenstrategie richtungsweisend sein wird. Griechenland
wir einmal mehr zum Labor für Europa, allerdings liegt das dieses Mal in seinem
Interesse.
Sollte sich herauskristallisieren, dass
die Finanzmärkte dabei von dieser Seite her in ihren Möglichkeiten, von der
Staatsschuldenkrise in Europa zu profitieren, künftig eingeschränkt werden, dann
wird sich das an den Börsen widerspiegeln. Genau genommen haben die Börsen bereits
begonnen, dies einzupreisen.
Europa braucht eine Lösung für
Griechenland. Die ineffektiv regulierten, von riskanten Wetten und sehr großen
Spielern geprägten Finanzmärkte sind dabei ein schlechter Lotse. Das hätten die
Staats- und Regierungschefs schon vor zweieinhalb Jahren erkennen können und
müssen. Ob sie es jetzt tun, das ist aus Sicht der Finanz-märkte die wohl entscheidende
Frage.
Ergänzende empfohlene Aufsätze:
- Why Europe should fear Fine Gael-like "resonableness" much, much more than it fears Syriza (June 3, 2012)
- Latsis profitiert von Euro-Rettungsschirm: Milliardenhilfen für den Milliardär (v. 04.06.12)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen