Mittwoch, 19. September 2012

Einkommens- und Vermögenskonzentration – Teil 6: Das brüchige Fundament – Neuordnung des Erklärungszusammenhangs der Krise und Implikationen

Fünf Folgerungen und ein offener Punkt


Bezüglich der Ausführungen zu Teil 5.1 und Teil 5.2 der Aufsatzreihe, die sich im Wesentlichen auf Daten und Studien zur Entwicklung in den USA bezogen, ist es wichtig, diese im Kontext der vorangegangenen Ausführungen zur Vermögenskonzentration in Teil 1 und Teil 2 sowie zur Einkommenskonzentration in Teil 3 und Teil 4 zu sehen.
Es ist insofern erstens zu konstatieren, dass bezüglich der Entwicklung und des Niveaus der Einkommens- und Vermögenskonzentration – auch wenn man sich der vielen, exemplarisch angesprochenen und der hinzukom-menden, nicht explizit angesprochenen Ungenauigkeiten und Lücken bei den Daten und Analysen bewusst ist – ein deutlicher Unterschied besteht zwischen den USA und Großbritannien auf der einen und den übrigen Industriestaaten auf der anderen Seite.
Das gilt aber zweitens ganz besonders auch bezüglich der Rolle und volkswirtschaftlichen Bedeutung des Finanzsektors. Denn die USA und Großbritannien sind die beiden Hochburgen der Finanzindustrie. Das gilt ganz besonders für den Subsektor „Other Finance“, unter den, wie in Teil 5.2 ausgeführt, u.a. Wertpapiere, Rohstoffe, Risikokapital, Private Equity, Hedgefonds und Investmentbanken subsummiert werden. Darunter fallen also gerade die in den zurückliegenden Jahren besonders einträglichen Geschäfte, beispielsweise mit Fusionen und Übernahmen, Börsengängen und dem Handel von Derivaten.
Aber die Entwicklungsrichtung ist drittens in den anderen, hier exemplarisch ausgewählten Industriestaaten einschließlich Deutschland – mal stärker, mal schwächer ausgeprägt – dieselbe und auch dort ist zu erkennen, dass die Entwicklung der Finanzmärkte bzw. die an den Börsen eine zentrale Rolle bei der Einkommens- und Vermögenskonzentration spielt.

Zweifellos ist die hier vorgenommene Analyse der Einkommens- und Vermögenskonzentration eine immer noch recht grobe. Allerdings wurde verdeutlicht, dass diese in den herangezogenen Daten und Studien auf globaler Ebene sehr wahrscheinlich unterschätzt wird. Für die in dieser Aufsatzreihe betrachteten Industriestaaten liegen die Anteile der Gruppe der Top-10-Prozent am jeweils nationalen Einkommen jedoch immerhin schon zwischen 30 bis 50 Prozent.
Bei den Privatvermögen liegen die Anteile der Top-10-Prozent zwischen 46 und 74 Prozent, die der Top-1-Prozent der Vermögenspyramide zwischen 17 und 44 Prozent, aber die der unteren 60 Prozent lediglich zwischen 5 und maximal 18 Prozent des jeweiligen gesamten nationalen Privatvermögens. James. S. Henry schätzt in seiner Analyse der „Offshore“-Vermögen (1) allerdings, dass etwa 44 Prozent des tatsächlichen weltweiten Privatver-mögens unsichtbar sind und etwa 81 Prozent davon auf eine globale Elite von lediglich 9,35 Millionen Personen entfällt. Den Anteil der nur rund 91.000 Personen umfassenden Gruppe mit einem Vermögen von jeweils über 30 Millionen US-Dollar am globalen Privatvermögen veranschlagt Henry auf 30 Prozent – mehr als die Hälfte davon, nämlich knapp 59 Prozent, befinden sich laut seinen Schätzungen in Steueroasen oder präziser gesagt in „Offshore“-Strukturen. (siehe dazu Teil 2)
Bei den nationalen Anteilen am globalen Privatvermögen lagen die USA laut Global Wealth Databook 2011 der Credit Suisse (2) mit 58,1 Billionen US-Dollar bzw. 25,1 Prozent (2011) weiterhin mit großem Abstand vor Japan (25,9 Billionen USD / 11,24 %) und China (20,7 Billionen USD / 8,75 %) an der Spitze (siehe dazu Teil 1). Im Jahr 2000 hatte der Anteil der Privatvermögen von US-Bürgern am globalen Vermögen noch bei fast 35 Prozent gelegen (siehe dazu Abbildung 2 in Teil 1). Auch in der Gruppe der Top-Vermögenden (Top-1- und Top-10-Prozent siehe dazu Abbildung 4 in Teil 1) und bei den „Ultra High Net Worth Individuals“ (UHNWI) mit einem Vermögen von über 50 Millionen US-Dollar liegen die USA einsam an der Spitze. In letztgenannter machten US-Bürger im Jahr 2011 weltweit einen Anteil von 41,85 Prozent aus (siehe Abbildung 5). An zweiter Stelle lagen Chinesen mit „nur“ 6,39 Prozent. Andererseits hat sich jedoch auch in keinem anderen Industrieland und nicht einmal in China die Schere zwischen Armen und Reichen so weit geöffnet wie in den USA.
Vor diesem Hintergrund spricht viertens das hier aufgezeigte Niveau der Einkommens- und Vermögenskonzen-tration durchaus dafür, die Profiteure der Krise und der Rettungsmaßnahmen und die dazu zählende Einkommens- und Vermögenselite stärker an den Kosten der Krisenpolitik zu beteiligen.
Es ist indes fünftens falsch anzunehmen, der Finanzmarktsektor sei allein verantwortlich für die starke Einkommens- und Vermögenskonzentration. Dagegen spricht schon die in Teil 5.1 für die USA und den Zeitraum 1979-2006 verdeutlichte Einkommensentwicklung nach Berufsgruppen. Denn demnach haben die Top-Führungs-kräfte in der Wirtschaft den mit Abstand größten Anteil am gesamten US-Einkommen in der Top-1- und Top-0,1-Einkommensgruppe. Die Finanzmarktprofis haben im angegebenen Zeitraum lediglich das stärkste Wachstum bei den Einkommen in diesen Gruppen realisiert. Allerdings lässt sich nicht leugnen, dass die Entwicklung und das Treiben des Finanzsektors eine wesentliche Rolle spielt.
Doch für eine Erklärung reicht das sechstens eindeutig nicht aus. Der Blick muss folglich über den Finanzsektor hinaus auf die gesamte Wirtschaft gerichtet werden.

Konzentrationsprozesse in der Finanz- und Realwirtschaft

In den Abbildungen 33 und 34, die die Lohnentwicklung im US-Finanzsektor im Zeitraum 1909-2006 veranschau-lichen (Teil 5.2), war ebenso wie in den Abbildungen 12, 13 und 16 (Teil 3) zur Entwicklung der Einkommen in den Gruppen der Top-10-, Top-1- und Top-0,1-Prozent der Einkommenspyramide in den USA, Großbritannien und Deutschland im Zeitraum 1920-2010 sehr deutlich ein übereinstimmendes Muster zu erkennen, auch wenn es nicht in allen drei Ländern gleich stark ausgeprägt ist. Das gilt im Wesentlichen auch für die anderen betrachteten Länder. Danach gab es bereits vor Mitte der 30er Jahre einen signifikanten Anstieg der Einkommenskonzen-tration, der mit dem seit Ende der 70er/Mitte 80er Jahre beginnenden auch bezüglich des erreichten Niveaus vergleichbar ist und dazwischen eine lange Phase geringer Einkommenskonzentration.
In Teil 3 wurde in diesem Zusammenhang bereits darauf hingewiesen, dass die Jahre mit Spitzen bei den Top-Einkommensanteilen, denen danach deutliche Rücksetzer folgten, in Zusammenhang mit Krisen und Crashs gebracht werden können. Betrachtet man darüber hinaus für diesen langen Zeitraum auch das Fusionsgeschehen auf den Märkten, dann lässt sich auch ein Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Einkommens- und Vermögenskonzentration, Fusionswellen bzw. Phasen verstärkter Unternehmenskonzentration sowie Krisen und Crashs feststellen. Abbildung 37 („Die amerikanischen Fusionswellen“) zeigt Fusionswellen im Zeitraum 1895-2006, wobei zu ergänzen ist, dass sich die etwa 2002 begonnene 6. Fusionswelle bis 2007 fortsetzte. (3) (4)
Abbildung 37: Quelle:
Günter Müller Stewens, Die Fusionswelle hält an, in: io new management Nr 11/2006, S.16

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Auch in dieser Abbildung sind Spitzen des Fusionsgeschehens gefolgt von drastischen Rückgängen. Zur Verdeutlichung wurde in die nachfolgende Abbildung 38Income Share of Top 1 Percent Households“, die die Entwicklung des Anteils der Top-1-Prozent der US-Einkommenspyramide am gesamten US-Einkommen im Zeitraum 1913-2008 zeigt, Fusionswellen und signifikante Börsencrashs markiert.
Beim Vergleich der Spitzen in den beiden Abbildungen 37 und 38 gibt es einen Ausnahmefall, in dem keine Übereinstimmung vorliegt, nämlich bezüglich der Spitze beim Anteil der Top-1-Prozent, die sich von Anfang bis Mitte der 30er Jahre aufbaute (siehe Abbildung 37). In Teil 5.2 wurde im Zusammenhang mit der Einkommensent-wicklung im Finanzsektor zumindest ein zum Teil erklärender Hinweis gegeben. Von Anfang bis Mitte der 30er sind nämlich die Einkommen im US-Finanzsektor deutlich angestiegen, sie fielen aber mit der dann einsetzenden drastischen Regulierung des US-Finanzsektors (Trennbankensystem) dramatisch ab (siehe Abbildung 33).
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch der Peak bei Fusionen und dem Top-1-Prozent-Anteil Mitte bis Ende der 60er Jahre (Abbildung 38). Während die relativen Löhne im gesamten US-Finanzsektor in diesem Zeitabschnitt jedoch nahezu unverändert blieben (siehe Abbildung 33), gab es im Subsektor „Other Finance“ (Wertpapiere, Rohstoffe, Risikokapital, Investmentbanken u.a.) sehr wohl einen deutlichen Anstieg mit anschließendem Rücksetzer (siehe Abbildung 35 in Teil 5.2).
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Sieht man die Entwicklung der Einkommens- und Vermögenskonzentration im Zusammenhang mit Phasen ausgeprägter Unternehmenskonzentration bzw. Fusionswellen sowie mit Krisenphasen und Crashs, dann erscheint es wenig plausibel, die Einkommens- und Vermögenskonzentration als Ursache der aktuellen Krise zu sehen. Denn zunehmende Unternehmenskonzentration kann je nach den Gegebenheiten (Corporate Governance, Rahmenbedingungen, Reifegrad von Märkten und Volkswirtschaften) ein wichtiger Grund für die Einkommens-konzentration sein. Fusionen & Übernahmen sind darüber hinaus ein bedeutender Treiber der Börsenkurse, die, wie in der in Teil 5.1 behandelten Studie von Bakija et al. (2012) (5) festgestellt wird, neben steuerlichen Rahmen-bedingungen ihrerseits ein maßgeblicher Treiber der Einkommenskonzentration sind.
Zu berücksichtigen ist ferner, dass heute die Gewinnströme nicht nur aufgrund der vielfach oligopolisierten, von wenigen Großunternehmen dominierten und vor allem ausgereiften Märkte in hohem Maß kanalisiert werden, sondern auch durch das hohe Maß der branchenübergreifenden Verflechtung und Vernetzung der auf globalen Märkten operierenden Konzerne. Es sei in diesem Zusammenhang noch einmal an die wesentlichen Ergebnisse der ETH-Analyse der Beteiligungsstrukturen der weltweit rund 43.000 multinationalen Konzerne (Stand 2007) erinnert: (6)
  • Die größte zusammenhängende Beteiligungsstruktur umfasst 75 Prozent aller multinationalen Konzerne und 94,2 Prozent der gesamten operativen Erträge;
  • 1.318 Konzerne haben innerhalb dieses größten Beteiligungsnetzwerks besonders weitreichende Kontrollmöglichkeiten und kontrollieren sich zu 75 Prozent selbst; 75 Prozent dieser Unternehmen sind Finanzkonzerne;
  • 737 dieser 1.318 Konzerne kontrollieren über Beteiligungen gemeinsam 80 Prozent des größten Beteiligungsnetzes;
  • 147 dieser 737 Konzerne kontrollieren gemeinsam 40 Prozent des größten Beteiligungsnetzwerks und zudem nahezu vollkommen auch sich selbst; 49 der 50 einflussreichsten Konzerne sind solche aus dem Finanzsektor, 24 davon sind US-Konzerne, 8 britische.

Abbildung 39 „The Core of the Network of Global Corporate Control“ zeigt einen Ausschnitt mit einflussreichen Finanzkonzernen aus dem innersten Kern des Beteiligungsnetzwerks, das 75 Prozent aller multinationalen Konzerne (Stand 2007) umfasst.
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Diese marktübergreifend hochgradig vernetzte Struktur von Oligopolisten, in der Finanzriesen eine zentrale Stellung einnehmen, macht die Weltwirtschaft in hohem Maße krisenanfällig, wie nicht zuletzt der Fall Lehman Brothers gezeigt hat. Sie setzt jedoch auch ein großes Fragezeichen hinter die Frage, wie sich dies auf die Form des globalen Wettbewerbs auswirkt. Andererseits ist diese Struktur nicht nur krisenanfällig, sondern wirkt in normalen Zeiten auch in die andere Richtung, nämlich in Bezug auf die Generierung von Profiten, verstärkend, vergleichbar mit einer gut geölten Maschinerie.
In Teil 2 wurde für den Zeitraum 2000-2011 für eine Auswahl von Ländern gezeigt, wie sehr das Privatvermögen in der länderbezogenen Gesamtsumme mit den Hochs und Tiefs der Börsen schwankt (siehe Abbildung 3). In den USA lag es im Jahr 2000 – dem des Platzens der New-Economy-Blase also – bei 39,5 Billionen US-Dollar. In 2007, im Jahr der US-Hypothekenkrise, belief es sich dagegen auf 59,9 Billionen. 2008, im Jahr der Lehman-Pleite, war es auf 46,7 Billionen USD abgestürzt und hat sich danach – parallel zum Börsenaufschwung – bis 2011 wieder auf 58,1 Billionen USD erhöht.
Es ist in diesem Zusammenhang auch nochmals hervorzuheben, dass es vor dem Crash der New-Economy- Blase im Jahr 2000, vor der US-Hypothekenkrise (2007) und auch danach wieder (infolge der Finanzmarkt- und Weltwirtschaftskrise) jeweils ausgeprägte Fusionswellen gab und dass nicht zuletzt das der Grund dafür ist, warum seit 2008 – zumindest bezogen auf den Bankensektor – immer wieder über „Too big to fail“ und Maßnahmen zur Lösung der damit verbundenen Probleme diskutiert wird.
Aber die „Too big to fail“ Debatte greift zu kurz, weil erstens die Instabilität der Märkte dabei eher im Hintergrund steht. Stattdessen geht es in erster Linie darum künftig zu vermeiden, dass Großbanken zu Lasten der Steuer-zahler gerettet werden müssen. Die Dominanz großer Banken im Bankensektor wird folglich gar nicht unbedingt als problematisch angesehen. Zweitens wird deswegen in diesem Zusammenhang auch die hohe Unternehmens-konzentration in der Wirtschaft respektive die Dominanz von wenigen großen Oligopolisten auf zahlreichen globalen Märkten überhaupt nicht thematisiert.
Warum werden die Hinweise auf die Zusammenhänge zwischen Unternehmenskonzentration in Finanz- und Realwirtschaft, Einkommens- und Vermögenskonzentration, Krisen und Crashs im Kontext der Frage der Krisen-bewältigung nicht gesehen, obwohl sich die aus der Krise von 2008/2009 hervorgegangene Staatsschuldenkrise mittlerweile erneut zu einer Finanzmarkt- und Weltwirtschaftskrise auszuwachsen und die bisherige Krisenpolitik zum zweiten Mal grandios zu scheitern droht?

„Structure - Conduct - Performance“

Konzentrationsprozesse sind eine natürliche Konsequenz der Entwicklung von Märkten in marktwirtschaftlich geordneten Volkswirtschaften. Die Frage ist, bis zu welchem Grad diese volkswirtschaftlich (und weltwirt-schaftlich) gesehen positiv zu bewerten sind und ob sowie wenn ja, ab wann und weshalb dies gegebenenfalls nicht mehr der Fall ist. Es ist deswegen an den unterschiedlichen Punkten der zeitlichen Entwicklung durchaus volkswirtschaftlich entscheidend, was die Politik darauf bezogen tut. Fördert und forciert sie die Entwicklung und damit Konzentrationsprozesse? Ist sie passiv und mischt sich nicht ein? Bremst sie diese oder kehrt sie diese im Extremfall sogar um (Dekonzentration)? Je nach Situation bzw. je nachdem an welchem Punkt der Entwicklung die Märkte in ihrer Gesamtheit stehen, kann sich die Politik gesamtwirtschaftlich positiv oder negativ auswirken und das gilt prinzipiell für jede der drei genannten Optionen. Keine ist, wenn man Märkte und Volkswirtschaften als sich entwickelnd, reifend versteht, folglich generell richtig, sofern es darum geht, wie in einer gegebenen Situation erreicht werden kann, dass eine Volkswirtschaft prosperiert.
In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu berücksichtigen, dass Unternehmenskonzentrationsprozesse ein klassisches Kennzeichen der Entwicklung von Märkten sind und hohe Konzentrationsgrade ebenso wie etwa auch die zunehmende Ähnlichkeit (Homogenität) der im Wettbewerb miteinander stehenden Produkte und intensiver Preis- und Kostenwettbewerb ein typisches Merkmal ausgereifter, gesättigter Märkte.
Das wohl bekannteste Konzept zur Beschreibung und Erklärung wettbewerblich gesteuerter Märkte ist das von der Harvard-School entwickelte „structure – conduct –  performance“- bzw. „Marktstruktur – Marktverhalten – Marktergebnis“-Konzept. Es baut auf dem Fundament der neoklassischen Theorie auf, orientiert sich jedoch an der Empirie.
Ursprünglich wurde von einem streng linearen Zusammenhang in dem Sinne ausgegangen, dass die Marktstruktur entscheidend das Marktverhalten und darüber letztlich die Marktergebnisse prägt. Später wurde erkannt, dass es auch Wechselwirkungen gibt.
Begreift man – über den Rahmen des Konzepts hinausgehend – auch Einkommen und Vermögen als (direkte oder indirekte) Marktergebnisse, die sich weitgehend aus den Marktstrukturen und dem dadurch geprägten Marktverhalten ergeben, dann habe ich in der Aufsatzreihe „Einkommens- und Vermögenskonzentration“ das Pferd von hinten aufgezäumt.
Das habe ich sehr bewusst getan.
Ebenso bewusst habe ich Wert darauf gelegt, bei allen angesprochenen Facetten der Aufsatzreihe die langfristige Entwicklung zu verdeutlichen. Denn so werden Konzentrationsprozesse oder anders ausgedrückt sich aufbauende und anhaltend signifikante Ungleichgewichte erkennbar, die es gemäß der neoklassischen Theorie und ebenso gemäß des „structure – conduct – performance“-Ansatzes auf Märkten und in Volkswirtschaften so eigentlich überhaupt nicht geben dürfte.
Damit ist im Grunde bereits die am Ende des letzten Abschnitts formulierte Frage beantwortet. Denn die Politik in den Industriestaaten orientiert sich – bewusst oder unbewusst – an den zentralen Annahmen und Lehren der neoklassischen Theorie sowie an dem Markt- und Wettbewerbsverständnis, das von der Harvard School und verwandten Ansätzen geprägt wurde – seit mehr als vier Dekaden.
Dabei war es immer das Ziel der Vertreter des Harvard-School-Konzepts, jenes Set von Marktmerkmalsaus-prägungen zu bestimmen, bei denen Wettbewerbsprozesse ein möglichst hohes Maß an marktlicher Effizienz und vor allem Wachstum bewirken. Ein optimales Set von Marktmerkmalausprägungen wurde nie gefunden, aber die Tatsache, dass überhaupt danach gesucht wird, ist definitiv ein Beleg für das neoklassische Fundament des Ansatzes. Denn ein solches allgemeingültiges Marktideal könnte es nur geben, wenn Märkte sich nicht entwickeln würden und Wettbewerb unabhängig von Raum und Zeit in immer derselben Weise funktionierte. Genau das sind Basishypothesen der neoklassischen Theorie. Die zentrale Annahme bezüglich des Marktideals, von deren Richtigkeit bis heute und seit fast fünfzig Jahren ausgegangen wird, ist, dass oligopolistische, von Großunternehmen geprägte Märkte im Hinblick auf Marktverhalten und Marktergebnis und damit für Effizienz und Wachstum optimal sind.
Was das „structure – conduct – performance“-Konzept bedingt durch seine neoklassische Basis nicht systematisch berücksichtigt, ist:

1. Die Entwicklung von Märkten und des Wettbewerbs in der Zeit
Wenn Marktstrukturen entscheidend dafür sind, welches Verhalten und welche Ergebnisse Wettbewerbsprozesse zeitigen, dann lässt sich die Entwicklung von Märkten nur damit erklären, dass Wettbewerbsprozesse strukturver-ändernd wirken (u.a. Unternehmenskonzentrationsprozess), aber die Strukturveränderungen auf den Wettbewerb zurückwirken, das heißt ihn verändern. In welcher Weise sich der Wettbewerb wandelt ist entscheidend dafür, wie die Marktentwicklung tatsächlich verläuft. Wettbewerb und Wettbewerbsfähigkeit auf jungen Märkten („Neuland“) definieren sich deswegen ganz anders als Wettbewerb und Wettbewerbsfähigkeit auf reifen Märkten („Routine“) und das ist maßgeblich für das Verhalten der Akteure auf Märkten.
Vor diesem Hintergrund betrachtet ist es unmöglich ein ideales Set von Marktmerkmalen zu finden, bei denen „der Wettbewerb“ zu jeder Zeit für hoch effiziente und wachstumsstarke Märkte sorgt. Ein Wettbewerbsideal gibt es so gesehen überhaupt nicht. Der Wettbewerb oder genauer gesagt die Form der Wettbewerbsführung muss sich im Gegenteil verändern, damit Märkte sich entwickeln können (siehe dazu im Detail: „In der Wachstumsfalle – Griechenland & Co., Teil 1, Teil 2 und Teil 3). Tut er es nicht, verlangsamt sich die Entwicklung sukzessive und es kommt zu Stagnation. Und das hat ernste gesamtwirtschaftliche und in letzter Konsequenz auch ernste weltwirt-schaftliche Konsequenzen, je mehr Märkte betroffen sind.
Die Harvard School und verwandte Ansätze versuchen entsprechend nicht nur etwas Unmögliches. Vielmehr haben sie auch die Politik - und über die an Harvard auf dieser Basis entwickelte Managementlehre nebenbei bemerkt auch Unternehmensberater und Manager – in den Industriestaaten geprägt, die nunmehr seit einigen Dekaden auf die Förderung der Entstehung und Entwicklung oligopolistischer, von Großunternehmen geprägter Marktstrukturen ausgerichtet ist – mal durch Deregulierung, mal durch gezielte Industriepolitik.
Das war über viele Jahre hinweg gesamtwirtschaftlich gesehen richtig und erfolgreich. Das Fatale ist jedoch, dass die Politik in den Industriestaaten generell auch bestrebt ist, diese hochkonzentrierten Marktstrukturen auf Dauer zu erhalten, in der irrigen Annahme, dies würde die Wirtschaft dauerhaft effizient und wachstumsstark machen. Tatsächlich hat sie damit in den zurückliegenden beiden Dekaden die Entwicklung von Märkten zunehmend stärker behindert, weil immer mehr Märkte ihren Zenit bzw. das Reifestadium überschritten haben. Auf solchen Märkten gehen die führenden Großunternehmen tendenziell dazu über, ihre Marktposition zu bewahren und zu verteidigen. Der Wettbewerb wird zu einem reinen Preis- und Kostenwettbewerb und diese Strukturen zu einem gravierenden Hemmnis für die Marktentwicklung. Und genau dabei unterstützt die Politik in den Industriestaaten die Wirtschaft und den Finanzsektor.
Das ist die den meisten nicht bewusste Erklärung dafür, warum wir heute eine Debatte über „Too big to fail“ führen – wenn auch nur bezogen auf den Bankensektor.

2. Die Nachfrageseite, insbesondere deren Rolle für die Entwicklung von Märkten und Wettbewerb
Wenn es auf immer mehr Märkten im Zuge der Entwicklung zur Reifung derselben und bei den Unternehmen auf der Angebots- und Nachfrageseite zu Konzentrationsprozessen kommt, dann ist es wenig realistisch anzunehmen, dies würde nicht auch bei den Einkommen und Vermögen seinen Niederschlag finden. Weil die neoklassische Theorie die Entwicklung von Märkten sowie der Wirtschaft vollständig und die Nachfrageseite weitestgehend ausblendet (angebotstheoretische Perspektive) und auch das Harvard-School- sowie verwandte Konzepte beides nicht systematisch berücksichtigen, sich aber andererseits die Politik in den Industriestaaten daran ausrichtet, liegt der Einkommens- und Vermögenskonzentrationsprozess außerhalb der Wahrnehmung und mithin auch außerhalb dessen, was man wahrzunehmen bereit ist. Denn dieser widerspricht den angesprochenen Theorien und Konzepten, aber vor allem auch der herrschenden angebotspolitischen Auffassung fundamental. Sich entwickelnde Märkte lassen sich nur durch das sich im Zeitablauf signifikant verändernde Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage erklären. Es ändert sich bedingt durch die sich verändernden Marktstrukturen und das findet seinen Niederschlag in einem sich verändernden Wettbewerb. Wenn sich viele Märkte im fortgeschrittenen Stadium der Entwicklung befinden und hochkonzentriert sind, dann konzentriert dies nicht nur die Profit- und Einkommensströme sondern über diese auch stetig die Verteilung der Vermögensbestände.

3. Die Konsequenzen der Entwicklung von Märkten und des Wettbewerbs in räumlicher Hinsicht, das heißt für die Entwicklung des Raums
Wenn wir von der Globalisierung der Märkte sprechen, dann ist das letztlich nichts anderes als eine Entwick-lungsstufe im Prozess der Entwicklung von Märkten und sie hängt unmittelbar mit dem Unternehmenskonzen-trationsprozess zusammen. Große Märkte erfordern große Unternehmen und umgekehrt. Das ist zum Beispiel exakt der Grund, warum der europäische Binnenmarkt geschaffen und die Entstehung von „European“ bzw. „National“ Champions in Europa massiv gefördert wurde. Damit hat aber der Unternehmenskonzentrationsprozess unmittelbar auch räumlich Konsequenzen, denn die wenigen Großunternehmen, die – als „Champions“ - die jeweiligen globalen Märkte prägen, sind natürlich nicht gleichmäßig auf alle Volkswirtschaften verteilt. Und so gibt es im Zuge dieser politisch bewusst geförderten Entwicklung, das heißt hin zu hochkonzentrierten Märkten und „National Champions“, unter den Volkswirtschaften und Regionen solche, die von dieser Entwicklung nach wie vor profitieren und viele andere, die nicht oder nur indirekt und damit temporär profitiert haben. Letztere sind all jene, die seit der Finanzmarkt- und Weltwirtschaftskrise beschleunigt verlieren, also etwa die europäischen Krisen-staaten. Die heute stark ausgeprägten volkswirtschaftlichen Ungleichgewichte (Stichwort: Leistungsbilanz-defizite), aber auch die räumlich heute ebenfalls stark ungleichgewichtige Verteilung von Top-Einkommen und Vermögen ist eine mittelbare Folge der politisch in allen Industriestaaten übereinstimmend und bewusst geförderten Entwicklung hin zu hoch konzentrierten Märkten, die sich bewusst oder unbewusst am Markt- und Wettbewerbsideal der Harvard School orientiert.

Zunehmende Ungleichgewichte auf den Märkten und sukzessives, politisch gefördertes Verkrusten derselben auf dem erreichten Status Quo, addieren sich mit den Ungleichgewichten bei der Einkommens- und Vermögensver-teilung auf der Basis der räumlichen Ungleichgewichte zu einer in hohem Maße instabilen Struktur, die entstanden ist, weil
  • die normale Entwicklung von Märkten dazu führt, dass der Wettbewerb sukzessive an Entwicklungs-dynamik verliert und so Märkte verkrusten (sofern es nicht einem Innovator gelingt, diese aufzubrechen oder von der Politik etwas dagegen unternommen wird);
  • die Politik exakt jene Marktstrukturen dauerhaft zu erhalten bestrebt ist, die für ausgereifte Märkte und harten Preis- und Kostenwettbewerb stehen, im falschen Glauben, dies sei auch dann noch ideal für Effizienz, Wachstum und Beschäftigung, wenn nach und nach alle volkswirtschaftlich (global) bedeu-tenden Märkte die Ausreifungsphase erreicht haben und in die Phase der Stagnation eingemündet sind;
  • die Konsequenzen für die räumliche Entwicklung und die Entwicklung bei den Einkommen und Vermögen ausgeblendet wurden.

Implikationen für die Krisenbekämpfung

Die Einkommens- und Vermögenskonzentration ist nicht die Ursache der Krise. Sie ist ebenso wie die hohe Unternehmenskonzentration das Ergebnis der natürlichen Entwicklungsdynamik von Märkten. Beides ist aus den oben genannten Gründen heute zu einem zentralen Problem geworden.
Die Ungleichgewichte zwischen den Volkswirtschaften werden sich nicht auflösen lassen, so lange die hoch konzentrierten und von hochgradig vernetzten Konzernen dominierten Marktstrukturen auf den globalen Märkten bestehen und von der Politik gezielt gefördert und bewusst erhalten werden. Unter solchen Bedingungen und bei uneingeschränktem Freihandel haben „Verlierer-Volkswirtschaften“ wie zum Beispiel Griechenland, Portugal, Ungarn und Rumänien nicht den Hauch einer Chance, wettbewerbsfähig zu werden. Denn das hieße deren Wirtschaft müsste in der Lage sein, den Global Playern Marktanteile im intensiven Kostenwettbewerb auf den globalen Märkten abzujagen. Das ist schlicht eine Utopie. Drastische strukturelle Reformen zwecks Anpassung dieser Volkswirtschaften an ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, wie sie gegenwärtig erzwungen werden, können daran ebenso wenig ändern wie großvolumige Konjunkturprogramme. Die einzige Möglichkeit, diese Länder wirtschaftlich wieder auf Erholungskurs zu bringen, besteht darin, sie temporär vor dem Wettbewerb auf den globalen Märkten zu schützen, damit sich die heimische Wirtschaft erholen respektive entwickelt werden kann.
Ein weiterer limitierender Faktor ist der hohe Grad der Ungleichverteilung von Kaufkraft, was eine direkte Folge der Einkommens- und Vermögenskonzentration ist. Es fehlen folglich auch die nachfrageseitigen Voraussetzungen für eine Rückkehr auf den Pfad der wirtschaftlichen Erholung. Dieses Problem wird sich ohne eine höhere Besteuerung der Top-Einkommen und –Vermögen nicht lösen lassen und insofern gibt es neben der erforder-lichen stärkeren Beteiligung an den Krisenkosten einen weiteren Grund, diese oder eine von der Wirkung her vergleichbare Maßnahme zu ergreifen.
Aber das alleine reicht ebenso wie der zuvor angesprochene Schutz strukturell schwacher Krisenvolkswirt-schaften nicht aus, weil die hochkonzentrierten Märkte letztlich der Motor der Einkommens- und Vermögens-konzentration sowie auch der räumlichen Ungleichgewichte sind.
Setzt man am anderen Ende des Problems der sich öffnenden Einkommens- und Vermögensschere an, das heißt bei der wachsenden Gruppe der Niedriglöhner, gilt dasselbe etwa für Mindestlöhne. Die könnten vielleicht die schlimmsten Auswirkungen einer Welt marktübergreifend miteinander verflochtener, großer Oligopolisten eindämmen helfen. Aber sie ändern nichts an den Ursachen und sind letztlich de facto eine Kompensation für politische Maßnahmen, die zwecks Unterstützung der Kostenwettbewerbsfähigkeit dieser Marktstrukturen ergriffen worden sind, einschließlich der Förderung von Fusionen und Übernahmen, um große Wirtschaftsein-heiten und „National Champions“ (z. B. Übernahme der Dresdner Bank durch die Commerzbank) zu schaffen und die das angesichts des Reifegrades vieler Märkte ohnehin existierende Problem weiter verschärft haben.
Auch bezüglich des Problems der Einkommens- und Vermögensungleichheit wird es deswegen eine echte Lösung nicht geben, solange die gegebenen Markt- und Beteiligungsstrukturen auf den globalen Märkten bestehen bleiben und von der Politik konzentriert gefördert respektive in Krisenphasen massiv gestützt werden.
Eine Lösung kann letztlich unterschiedliche Elemente umfassen, wird aber in jedem Fall marktstrukturverändernd sein müssen.
Das gilt nicht nur, aber ganz besonders für den von der realwirtschaftlichen Entwicklung abgekoppelten und die Realwirtschaft dominierenden Finanzsektor. Eine Lösung wird in diesem Punkt jedoch dadurch erschwert, dass die globalen Finanzhochburgen in den USA und Großbritannien liegen und insbesondere Großbritannien volks-wirtschaftlich in hohem Maße von der Finanzindustrie abhängig ist.
Die drastischste Maßnahme wäre neben einer rigiden Regulierung des Finanzsektors die Zerschlagung von Finanzkonzernen, was historisch gesehen nicht zum ersten Mal geschähe, aber beides nicht unproblematisch und eher ein letztes Mittel ist – die ganz große Keule eben.
Eine andere, weniger heikle Möglichkeit wäre es, Obergrenzen für die Bilanzsumme einzuziehen, möglicherweise in Stufen und über einen definierten Zeitraum gestreckt, was nichts anderes wäre als ein Schrumpfen der Global Player im Finanzsektor. Allerdings ist es notwendig dabei nicht nur den Finanzsektor ins Auge zu fassen, sondern die ebenfalls vielfach von sehr großen Oligopolisten beherrschten globalen realwirtschaftlichen Märkte. Auch die könnten sich, nebenbei bemerkt, schon bald als „Too big to fail“ erweisen.
Unverzichtbar ist aber in jedem Fall eine Neuausrichtung der gesamten auf die Finanz- und Realwirtschaft gerichteten Politik.
Die einseitige Fokussierung der oligopolistischen „1.-Klasse“-Wirtschaft der Konzerne muss beendet und durch eine in den nächsten zehn Jahren bevorzugt auf die Förderung und Stärkung des dynamischen Teils der klein- und mittelständischen Wirtschaft und Finanzindustrie gerichtete Politik abgelöst werden, um dynamische Entwicklungsprozesse blockierende, marktstrukturell bedingte Verkrustungen aufzulösen. Andernfalls bleiben die instabilen, höchst krisenanfälligen Strukturen bestehen, die kaum mehr als Stagnationsperspektiven bieten und aufgrund des immensen Kostendrucks mit Blick auf Beschäftigung und Löhne eine weitere Verschärfung erwarten lassen.
Kommt es zu einem neuerlichen Kollaps an den Finanzmärkten und Börsen oder tritt ein anderes signifikantes, krisenauslösendes Ereignis ein, wird sich die Lage auf den Weltmärkten – wie schon nach der Lehman-Pleite – sehr rasch und drastisch verschlechtern. Das ist angesichts der hier beschriebenen, hochkonzentrierten und hochgradig vernetzten Strukturen der globalen Märkte garantiert. Und dieser Fall wird mit hoher Wahrschein-lichkeit eintreten, wenn es keine Kurskorrektur gibt.
Gerade deswegen sollte die ebenfalls bittere, aber zumindest potenziell weniger zerstörerische Alternative eines sukzessiven Umbaus der krisenanfälligen und ernste finanzielle, wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Probleme verursachenden Strukturen nicht leichtfertig verdrängt werden. Es wäre nicht weniger als ein Paradig-menwechsel, aber der ist unausweichlich. Darauf zu hoffen, dass die bisherige Krisenpolitik und dieselben, immer wieder angewandten Maßnahmen (aktuelles Stichwort: QE3) doch noch irgendwann einmal den erwünschten Durchbruch erbringen, ist angesichts der Zwischenbilanz derselben im fünften Jahr nach dem Kollaps des US-Hypothekenmarktes nicht einmal mehr ein Strohhalm, an den man sich zu klammern versucht, sondern Realitätsverweigerung. Die einzige Wahl, die wir tatsächlich haben, ist, ob der Paradigmenwechsel bewusst vollzogen oder von den Ereignissen erzwungen wird.

3 Kommentare:

  1. Hallo Herr Eichner,

    Großartige Arbeit und in allen Punkten Stichhaltig, aber ich denke Sie wissen schon was jetzt kommt, in ihren Maßnahmen zu Krisenbewältigung kann ich ihnen nicht zustimmen.

    Was Sie implizit voraussetzen, ist, dass sich wie in der Vergangenheit eine Produktivitätssteigerung und ein Wachstum auch in Zukunft verwirklichen lassen, sollte die Oligopolisierung auf den gesättigten Märkten gebrochen und damit die Marktdynamik neu entfacht werden.
    Ganz abgesehen davon, dass bestehenden Machtstrukturen einen solchen Wandel nicht zulassen kennen sie meinen Standpunkt, dass ein Wachstum wie bisher sich nicht wieder wird erreichen lassen können.
    Die Ressourcen werden/sind bereits knapp und teuer und die Produktivität leidet schon jetzt darunter.
    Wenn Ressourcen schwinden kann man versuchen dies durch Effizienzsteigerung auszugleichen. Effizienzsteigerung mit bestehenden Ressourcen ist aber durch das "Law of diminishing returns" beschränkt. (Eine logarithmische Kurve die sich schnell auf 1 annähert.) Das die „Innovationskraft der Märkte“ eine Lösung für die Ressourcenkrise hervorbringt ist reiner Wunderglaube, was jedem klar sein muss der sich mit den Grundgesetzen der Physik nur halbwegs auskennt.
    Ist die Krise des Finanzsektors durch den Ressourcenschwund ausgelöst? Im Moment sicherlich noch nicht direkt. Aber, die schwindenden Ressourcen verschärfen die Situation für alle diejenigen die sich am Verliererende der Marktwirtschaft befinden.
    Dadurch, dass die Investmentbanken, Hedgefonds usw. immer stärker in Bereichen Gewinne erzielen, die die Lebensgrundlagen der Menschen gefährden (Land grabbing, Spekulation auf Nahrungsmittelbörsen, Geier Fonds usw.) spitzt sich die soziale Krisenhaftigkeit der Situation massiv zu. Die Gesellschaftskrise die sich aus der „Wirtschaftskrise/Finanzkrise“ ergeben muss ist was die Menschen eigentlich betrifft.
    "Märkte" agieren nicht in abgeschotteten Bereichen fernab der sozialen und ökologischen Ökosysteme. Sie sind eingebunden in gesellschaftliche Entwicklungen und einen Rohstoffkreislauf.
    Es ist meines Erachtens die zentrale Schwäche der vorherrschenden Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftpolitik die Frage zu missachten ob Nachhaltigkeit und diese marktwirtschaftliche Volkswirtschaft überhaupt zu Vereinbaren sind. Es scheint fast als ein Sakrileg in der Mainstream Ökonomie die sozialen Implikationen wirtschaftlichen Handelns überhaupt zu erwähnen, oder ökologische Auswirkungen anders als mit Häme und Spott zu kommentieren.
    Wie viel Reichtum können wir uns angesichts des stagnierenden Wachstums noch leisten? Wie viele müssen darben, hungern oder sterben um wenigen Reichtum zu bescheren? Wie viel Vermögen kann die Gesellschaft einzelnen noch gestatten ohne den Rest der Gesellschaft zu gefährden? Wie weit werden die reichen und mächtigen gehen um ihren Reichtum zu verteidigen? Wie viel Ausbeutung lassen sich die unteren 90% noch gefallen?
    Eine Zukunftsfähige Wirtschaftspolitik kann daher nicht umhin die Vermögenskonzentration an sich (den Reichtum) in Frage zu stellen. Stellen wir den Reichtum in Frage erübrigt sich jede Frage nach einer Finanzindustrie, sie kann nicht überleben. Je eher sie abgeschafft wird und wir das Bankwesen auf ein Kommunal/Genossenschaftlich gesteuertes Minimum reduzieren desto besser.
    Ein Paradigmenwechsel wie Sie ihn vorschlagen greift also zu Kurz. Auf Dauer ist nur die Frage von Bedeutung: Wählen wir unseren Weg in eine nachhaltige Gesellschaft selbst oder wird sie das Ende eines revolutionären Umbruches sein?

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    1. Siehe hierzu auch:
      Herman Daly, Three More Growth Fallacies:

      As natural resources become scarce we can substitute capital for resources and continue to grow. Growth economists assume a high degree of substitutability between factors of production. But if one considers a realistic analytic description of production, as given in Georgescu-Roegen’s fund-flow model, one sees that factors are of two qualitatively different kinds: (1) resource flows that are physically transformed into flows of product and waste and (2) capital and labor funds, the agents or instruments of transformation that are not themselves physically embodied in the product. There are varying degrees of substitution between different resource flows, and between the funds of labor and capital.

      But the basic relation between resource flow on the one hand, and a capital (or labor) fund on the other, is complementarity. You cannot bake a hundred-pound cake with only one pound of ingredients, no matter how many cooks and ovens you have.

      Efficient cause (capital) does not substitute for material cause (resources). Material cause and efficient cause are related as complements, and the one in short supply is limiting. Complementarity makes possible the existence of a limiting factor, which cannot exist under substitutability. In yesterday’s empty world the limiting factor was capital; in today’s full world remaining natural resources have become limiting.


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  2. Sehr schöne Artikel! vlt. ein paar Anregungen:

    ich sehe selber 2 hauptprobleme für die aktuellen wirtschaftlichen probleme:

    1. der an sich gesunde antrieb, vermögen schaffen zu wollen hat sich von einem volkswirtschaftlich förderlichen motiv zu einem schädlichen gewandelt.

    2. durch die perfekt organisierte wirtschaft in oligopolen märkten sind im wirtschaftskörper tiefe rinnen entstanden, die jede umverteilung oder anderweitigen geldeintrag sofort wieder zu vermögen absaugen und eben nicht in der wirtschaft zirkulieren. d.h. in einer gesunden art und weise und eben nicht als schulden...

    es ist geradezu ein witz, dass das bundesverfassungsgericht entschieden hat, dass geldvermögen gegenüber anderen vermögen benachteiligt nicht werden dürfen, obwohl genau dies ein wichtiges steuerelement wäre, um der verheerenden entwicklung entgegen zu wirken.

    doch tatsächlich lässt sich all dies auf verblüffend einfache art und weise lösen und zwar durch einen mentalitätswechesl, der vermögen per se kritisch sieht und vermögende durch sanfteren oder härteren druck dazu zwingt, gutes zu tun und eben nicht permanent neue erben und damit "rentner" zu schaffen...

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