Im Jahr 2010 leitete die damalige
französische Finanzministerin Christine Lagarde eine CD mit Daten von mutmaßlichen
Steuerflüchtlingen, die Gelder bei der HSBC in der Schweiz angelegt hatten, an
die griechische Regierung weiter. Herve Falciani, ein IT-Angestellter der Bank,
hatte die Daten gestohlen. Die CD enthielt detaillierte Daten zu 24.000 Konten
und war von den Franzosen für die Verfolgung von Steuersündern genutzt worden. Auf
der CD befanden sich u.a. aber auch Kontodaten von 2.000 Griechen sowie Bürgern
anderer EU-Staaten. Lagarde ließ diese Daten den italienischen, spanischen und
britischen Behörden zukommen sowie auch der damaligen griechischen Regierung,
die daraufhin jedoch nicht tätig wurde. (1)
Erst vor wenigen Tagen gelangte diese
Information an die griechische Öffentlichkeit und tagelang war daraufhin in Griechenland
spekuliert worden, wo diese Liste wohl abgeblieben sein mochte.
Jannis Stournaras, der gegenwärtige
Finanzminister, sagte am Sonntag, den 30. September, er habe von dieser
Daten-CD erstmals in der vorangegangenen Woche erfahren und zwar aus der
Presse. (2) Er hatte später eingestehen müssen, die Daten seien in seinem
Ministerium nicht mehr auffindbar. (3) Daraufhin hatte Evangelos Venizelos,
Chef der PASOK-Partei und aktuelles Regierungsmitglied, am Dienstag, den 2. Oktober,
eröffnet, er verfüge über eine Kopie und habe sie jetzt an Stournaras weitergegeben.
(4)
Venizelos hatte die Daten nach eigenen
Angaben als verantwortlicher Finanzminister im August 2011 vom damaligen Chef
der mit Steuerfahndung beauftragten Sondereinheit SDOE, Yiannis Diotis, erhalten,
aber nichts unternommen, weil er – so seine Begründung - davon ausgegangen sei,
sie böten keine legale Grundlage für die Verfolgung von Steuersündern in der
Schweiz. (5) Diotis habe ihm erklärt, die Daten-CD „inoffiziell“ vom Giorgos
Papaconstantinou (PASOK) erhalten zu haben, der 2010 Finanzminister war und
diese von seiner damaligen Amtskollegin Lagarde erhalten hatte. Diotis habe die
Auffassung vertreten, sie seien seiner Behörde somit in einer Weise zugänglich
gemacht worden, die keine rechtlich zulässige Basis für Ermittlungen liefere und
gewiss auch nicht für eine Veröffentlichung der Daten. (6)
Giorgos Papaconstantinou (PASOK) wiederum
hat laut eines Zeitungsberichts angegeben, diese nach Erhalt offiziell an den
seinerzeitigen Chef der Sondereinheit SDOE, Yiannis Kapeleris, weitergeleitet zu
haben und er äußerte die Vermutung, irgendwo auf diesem Weg müssten sie damals im
Ministerium verlorengegangen sein. (7)
Venizelos geriet öffentlich und in seiner
Partei verstärkt unter Druck, nachdem sein Parteikollege und ehemaliger
Verkehrsminister Yannis Ragousis am Mittwoch, den 3. Oktober, seinen Austritt
aus der PASOK-Partei verkündete und dies mit dem Versagen seiner Partei bei der
Verfolgung der 2.000 mutmaßlichen Steuersünder begründete. Er sei als damaliges
Kabinettsmitglied gezwungen gewesen, Lohn- und Rentenkürzungen zuzustimmen, um
Griechenland über Wasser zu halten, aber die aufgetauchte Daten-CD sei nun der
Beleg dafür, wie politisch unmoralisch und schockierend unfair diese Entscheidung
gegenüber der Gesellschaft war. Die Existenz der Liste mit den Namen von 2.000 Griechen
mit signifikanten Vermögen bei der HSBC in der Schweiz unterstreiche die
Entschlossenheit der Staatsgewalt, Steuerflucht nicht mit derselben Strenge zu
verfolgen, mit der sie Einschnitte bei den Einkommen und neue Steuerbelastungen
durchsetze. Seine Partei habe nichts dazugelernt. (8)
Venizelos hingegen verteidigte energisch sein
Verhalten als Finanzminister im Fernsehen mit den Worten, alle seine
Anstrengungen seien 2011 nicht darauf gerichtet gewesen, geheime Information zu
überprüfen, sondern Griechenland zu retten. (9)
Heute besucht nun Bundeskanzlerin Angela
Merkel Griechenland. Es ist das erste Mal seit Beginn der Griechen-landkrise. Sie
wird von vielen Griechen als Hauptverantwortliche für den harten austeritätspolitischen
Kurs angesehen, der von der Troika bzw. den Vertretern des Internationalen
Währungsfonds (IWF), der Europäischen Kommission sowie der EZB durchgesetzt
wird und unter dem sie zu leiden haben. Der IWF wird von vielen Griechen und auch
von Regierungsmitgliedern besonders kritisch gesehen, weil er besonders
kompromisslos ist. Es fällt aus griechischer Sicht insofern ins Gewicht, dass die
Euro-Gruppe den IWF anfangs im Fall Griechenland gar nicht involvieren wollte,
er auf Druck der Bundeskanzlerin letztlich aber doch hinzugezogen wurde. (10) Vor
allem erzeugt jedoch die Bundesregierung immer wieder selbst öffentlich großen
Druck zur Erfüllung der Sparauflagen respektive zur Verstärkung der
Sparanstrengungen der griechischen Regierung.
Der Skandal um die Steuerdaten-CD wirft allerdings
ein Schlaglicht auf den Anteil, den die verantwortlichen griechischen Politiker
an der Misere der Bevölkerung haben oder präziser gesagt der Politiker der beiden
etablierten Parteien. Der Steuerskandal belastet Evangelos Venizelos du die
PASOK schwer. Aber es ist nicht eine einzelne Steuerdaten-CD und nicht in
erster Linie die PASOK, die die unhaltbaren Zustände herbeigeführt haben. In
den letzten Dekaden wurde Griechenland hauptsächlich von der konservativen Nea
Dimokratia (ND) regiert. Sie hatte die Verantwortung in den Jahren vor der
Krise, für die geschönten Staatschulden, die die Aufnahme in die Währungsunion
ermöglichten und es war die PASOK mit Giorgios Papandreou an der Spitze, die
den Trümmerhaufen, den diese hinterließ und dessen Größe erst nach und nach
erkennbar wurde, hätte aufräumen sollen. Das ist ihr nicht gelungen und der
Skandal um die Steuerdaten-CD nährt böse Zweifel, ob sie es ernsthaft wollte.
Spätestens jetzt zeigt sich, dass
Evangelos Venizelos (PASOK) und Premierminister Antonis Samars (ND) keine
glaubwürdigen und geeigneten Führungspersönlichkeiten sind, um mit alten und
untragbaren Missständen im politischen und Verwaltungsbetrieb aufzuräumen, die
letztlich dazu führen, dass Gewinne wie Lasten in der Gesellschaft höchst
ungerecht verteilt werden.
Es ist aber auch daran zu erinnern, mit
welch düsteren Szenarien und mit welchem Nachdruck Politiker in den Gläubigerstaaten
der Euro-Gruppe via Presse und Medien die griechischen Bürger Anfang Juni dazu
ermahnten, die etablierten politischen Parteien wieder an die Regierung zu
wählen und nicht die in Umfragen und mit radikalen Forderungen aufholende
Linkspartei Syriza. Auch Angela Merkel gehörte dazu.
Der austeritätspolitische Kurs der Troika ist
falsch. Dass er trotz unablässiger Talfahrt Griechenlands beibehalten wird, ist
der Troika, vielmehr aber den Verantwortlichen Politikern in den Ländern der
Euro-Gruppe anzulasten und ganz oben auf der Liste stehen gerade auch jene aus
Deutschland. Dass der austeritätspolitische Kurs jedoch für die breite
griechische Bevölkerung derart hart und ungerecht ausfällt, das haben zu einem erheblichen
Anteil die Politiker der griechischen Regierungskoalition zu verantworten.
Viele Griechen werden heute in Athen auf
die Straße gehen, um gegen den Sparkurs sowie insbesondere gegen Angela Merkel
zu demonstrieren. Differenzierungen, wie die hier vorgenommenen, werden diese
Menschen überwiegend nicht machen. Angela Merkel wird erstmals mit den
Konsequenzen ihrer Politik konfrontiert werden. Aber im Grunde sind die
Proteste gegen die Bundeskanzlerin in erster Linie eine Machtprobe zwischen der
griechischen Bevölkerung und der eigenen Regierung, die zwischen den
Forderungen der Troika und dem Druck von der Straße sukzessive aufgerieben
wird. Sie muss heute beweisen, dass sie im Ernstfall auch die Kontrolle über
die Straße hat. Wie das Ergebnis
ausfällt, werden wir später am Tag wissen.
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