Freitag, 19. Oktober 2012

Google-Patzer schlägt EU-Gipfel-Kompromiss - neue Prioritäten der Märkte im Angesicht der US-Krise

Nun soll es also doch die EZB machen. Zwar kommt die einheitliche europäische Bankenaufsicht nicht zum 1. Januar 2013 – allerdings: Hat irgendjemand zuvor ernsthaft angenommen, dieser Termin sei realistisch? Aber immerhin soll bis dahin ein Rechtsrahmen erarbeitet werden – allerdings: Wer glaubt angesichts der schwierigen rechtlichen Materie, dass dieser Termin zu halten sein wird? Und – so muss deswegen ergänzt werden – unter der Voraussetzung, dass der Rechtsrahmen termingerecht steht, soll dann gemäß der Vereinbarung auf dem gestrigen EU-Gipfel die Bankenaufsicht Ende 2013 operationsbereit sein. (1)

Doch anders als bisher bewegten die EU-Gipfelbeschlüsse die Börsen dieses Mal nicht.
Das gelang vielmehr Google mit einer zu früh, das heißt, während des noch laufenden Handels an der Wall Street veröffentlichten Meldung von Quartalszahlen zur Umsatz- und Gewinnentwicklung. Während der Umsatz um satte 45 Prozent auf 14,1 Milliarden Dollar stieg, gab es beim Gewinn im dritten Quartal wegen deutlich gestiegener Kosten und geringerer Werbeeinnahmen einen Rückgang um 20 Prozent auf immerhin noch 2,18 Milliarden Dollar. Daraufhin brach die Google-Aktie zeitweise um mehr als 10 Prozent ein, bis sie gegen Mittag New Yorker Zeit auf Wunsch von Google für zweieinhalb Stunden vom Handel ausgesetzt wurde. Zum Börsenschluss lag das Minus dann bei rund acht Prozent. (2)
Die ganze Sache wurde als Patzer deklariert. Die für die Veröffentlichung zuständige Druckerei habe die Presse-mitteilung versehentlich zu früh an die Börsenaufsicht SEC geschickt, hieß es. Im außerbörslichen Handel notierte die Google-Aktie heute am Morgen aber bereits wieder etwa zwei Prozent fester. (3) Das ist nicht unmöglich, klingt aber irgendwie schon nach starkem Tobak.
Ob es nun ein Patzer war oder nicht – im Grunde kann man diesen Vorfall auch als Test für die Reaktion der Börsen auf schlechte Neuigkeiten aus den USA im Vorfeld der US-Präsidentschaftswahl und der nahenden „fiskalischen Klippe“ auffassen. Denn der Fall Google und die Indifferenz der Börsen gegenüber dem EU-Gipfel-beschluss zur EU-Bankenaufsicht zeigen, dass der Blick der Märkte von Europa längst auf die USA geschwenkt worden ist.
Der gestrige „Patzer“ von US-Unternehmens Google verdient deswegen – über die aus den Zahlen abzuleitenden Rückschlüsse für die Entwicklung der Märkte, auf den Google operiert, hinaus – hohe Aufmerksamkeit. Denn das Potenzial für schlechte Nachrichten aus den USA ist hoch. Vieles wurde dort bisher erfolgreich unter den Teppich gekehrt sprich: aus den Medien herausgehalten. Das ist nicht neu, sondern durchaus weithin bekannt. Nur wurde darüber bisher kaum offen geredet.
Dass sich das jetzt geändert hat und nun immer öfter direkt auf konkrete Gefahren hingewiesen wird – Zinssturm bei US-Treasuries, Bonitätsabstufung der USA u.a. - und vermehrt gewagte Prognosen bezüglich der Folgen im Falle des Akutwerdens abgegeben werden, ist ein klarer Hinweis auf das Ausmaß an aufgestauter Unsicherheit. Es ist die Unsicherheit darüber, wie ernst eine für immer wahrscheinlicher gehaltene neue Krisensituation ausfallen wird, wo die Rettungsboote für die Investoren sind bzw. ob es überhaupt noch welche gibt. Sind Staats-anleihen von Triple-A-Ländern tatsächlich noch sicher und wenn ja, welche? Welche Währung ist sicher? Sind Aktien sicher oder Rohstoffe, insbesondere Gold?
Das sind die Fragen, auf die aktuell mehr denn je in den letzten Monaten eine zuverlässige Antwort gesucht wird.
Die Reaktion auf den „Patzer“ von Google, bisher einem der größten und zukunftsträchtigsten börsennotierten Unternehmen, lässt erahnen, als wie wenig sicher sich auch Aktien im Ernstfall erweisen könnten. Das gilt umso mehr, weil gerade die globalen Märkte von einer Krise besonders hart getroffen würden und damit insbesondere auch die Börsenschwergewichte.
Bedenkt man zudem, wie wenig erfolgreich die Regierungen der führenden Industriestaaten bei der Bewältigung der Krise bisher waren, die durch die geplatzte US-Immobilienblase und die Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers ausgelöst wurde, dann wirft dies noch eine ganz andere, viel bedeutendere Frage auf: Wird es den Regierungen und Notenbanken beim nächsten Einbruch der globalen Märkte nochmals gelingen, diese wieder zu stabilisieren und wenn ja, auf welchem Niveau?
Diese Frage ist nicht unwichtig, gerade für all diejenigen, die Aktien von globalen Schwergewichten als „Rettungsboot“ ansehen.
Angesichts der widersprüchlichen oder zumindest schwer deutbaren Fakten und Ereignisse der Gegenwart bleibt man letztlich vielleicht an der einen oder anderen alten Faustregel oder Weisheit hängen. Hier ein Tipp: „Small is beautiful“ ist der Titel eines Buches des britischen Ökonomen E. F. Schumacher, das in der Ölkrise Mitte der 70er Jahre weite Beachtung fand. Hat er mit dieser Formel vielleicht den Kern einer tieferliegenden Wahrheit erfasst?
Das ist Stoff zum Nachdenken.

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