Donnerstag, 8. November 2012

Griechenland: Auflösungserscheinungen der PASOK

Seit Beginn des Skandals um die Lagarde-Liste mit Namen von annähernd 2.000 Griechen, die Vermögen bei der HSBC in der Schweiz deponiert und damit möglicherweise Steuern hinterzogen haben, steht Evangelos Venizelos, der Parteichef der PASOK, massiv unter Druck. Er hatte als Finanzminister ebenso wie sein Amtsvor-gänger und Parteikollege Giorgos Papaconstantinou, der die Liste 2010 von der damaligen französischen Finanz-ministerin Christine Lagarde erhielt, keine Untersuchung eingeleitet. Zwischenzeitlich war die Liste verschwunden, bis Venizelos vor wenigen Wochen erklärte, er verfüge über eine Kopie, die er dem Finanzmister Stournaras geben wolle. Doch diese Kopie entpuppte sich jüngst als offensichtlich manipuliert.

Gestern wurde das Sparpaket der Regierung im Parlament mit einer haudünnen Mehrheit beschlossen. Die Demokratische Linke (Dimar), dritte Partei in der Regierungskoalition, hatte wie angekündigt dem Sparpaket geschlossen (16 Abgeordnete) die Zustimmung verweigert. Zwar verfügten Nea Dimokratia (ND) und PASOK zusammen über 160 Sitze. Bei der Abstimmung befürworteten aber nur 153 Abgeordnete der beiden Parteien das Sparpaket und damit gerade einmal zwei mehr als notwendig. Sechs PASOK-Parlamentarier und ein ND-Abge-ordneter hatten nicht zugestimmt und waren unmittelbar nach der Abstimmung aus ihren Parteien ausge-schlossen worden. Insgesamt stimmten 128 Parlamentarier dagegen, 18 enthielten sich der Stimme und einer war nicht anwesend. (1) Mittlerweile hat ein siebter PASOK-Abgeordneter den Austritt aus seiner Partei verkündet. (2) Damit ist die PASOK, die bei der Wahl im Juni 33 Sitze errungen hatte, künftig nur noch mit 26 Abgeordneten im Parlament vertreten. Die ND verfügt nach dem Ausschluss noch über 126 Sitze.
Die PASOK erlebt einen rasanten Niedergang.
Bei der Parlamentswahl im Jahr 2009 hatte sie mit Giorgos Papandreou an der Spitze noch 43,9 Prozent der Stimmen erhalten und die Nea Dimokratia in der Regierung abgelöst. Bei den vorgezogenen Neuwahlen am 6. Mai kam sie nur noch auf 13,2 Prozent, bei der Neuwahl sechs Wochen später, am 17.Juni, erhielt sie 12,3 Prozent. In neueren Umfragen liegt die Zustimmung für die PASOK jedoch bei nur noch um die 6 Prozent. Die neo-faschis-tische Partei „Goldene Morgenröte“, die bei der Wahl am 17. Juni 6,9 Prozent der Stimmen erhalten hatte und aktuell mit 18 Abgeordneten im Parlament vertreten ist, wird in Umfragen dagegen mit um die 14 Prozent inzwischen als drittstärkste Partei in Griechenland gesehen. (3)
Dass das neue Sparpaket gestern trotz umfassender Streiks und des Protests von Zehntausenden vom Parlament mit den Stimmen der Nea Dimokratia und der PASOK gebilligt wurde, wird die beiden Parteien in der Bevölkerung wohl kaum beliebter machen. Die PASOK ist jetzt vom Zerfall bedroht, die demokratische Linke hat nun erstmals demonstriert, dass sie die Regierungsarbeit nicht in jedem Fall mitträgt. Einigkeit ist in der Koalition eindeutig nicht gegeben und der Druck aus der Bevölkerung und seitens der ohnehin starken Opposition wird weiter steigen, wenn mit der Umsetzung der neuen Sparmaßnahmen begonnen wird.
Es ist schwer vorstellbar, wie unter diesen Voraussetzungen in den nächsten Wochen eine geordnete Regierungs-arbeit noch möglich sein soll. Im Zweifelsfall, das heißt wenn Dimar sich erneut verweigert, verfügen ND und PASOK bei Abstimmungen nur noch über eine Mehrheit von zwei Stimmen – vorausgesetzt es treten nicht weitere Abgeordnete aus oder verweigern sich.
Mit dem höchst umstrittenen Evangelos Venizelos an der Spitze der PASOK und möglicherweise bevorstehenden Enthüllungen im Skandal um die Lagarde-Liste sowie im Zuge des anhaltenden Streits über die Sparmaßnahmen ist letzteres nicht auszuschließen. Ein Rücktritt von Venizelos wäre jedoch eine neue Belastungsprobe für die Regierungskoalition. Es ist die Frage, ob sein Nachfolger zwecks Rettung der Partei nicht auch andere Positionen würde vertreten müssen, die die Entscheidungsfindung in der Koalition gegebenenfalls erschweren.
Die Ausgangslage in Portugal und Spanien ist zweifellos eine andere gewesen als in Griechenland. Vergleichbare Skandale gibt es dort ebenfalls nicht. Der Entwicklungspfad scheint dennoch derselbe zu sein. Für die Regierungen in Lissabon und Madrid ist der Blick nach Griechenland deswegen – zumindest ansatzweise – ein Blick in die Zukunft.

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