Seit Beginn des Skandals um die Lagarde-Liste
mit Namen von annähernd 2.000 Griechen, die Vermögen bei der HSBC in der
Schweiz deponiert und damit möglicherweise Steuern hinterzogen haben, steht Evangelos
Venizelos, der Parteichef der PASOK, massiv unter Druck. Er hatte als
Finanzminister ebenso wie sein Amtsvor-gänger und Parteikollege Giorgos
Papaconstantinou, der die Liste 2010 von der damaligen französischen
Finanz-ministerin Christine Lagarde erhielt, keine Untersuchung eingeleitet. Zwischenzeitlich
war die Liste verschwunden, bis Venizelos vor wenigen Wochen erklärte, er
verfüge über eine Kopie, die er dem Finanzmister Stournaras geben wolle. Doch
diese Kopie entpuppte sich jüngst als offensichtlich manipuliert.
Gestern wurde das Sparpaket der Regierung
im Parlament mit einer haudünnen Mehrheit beschlossen. Die Demokratische Linke
(Dimar), dritte Partei in der Regierungskoalition, hatte wie angekündigt
dem Sparpaket geschlossen (16 Abgeordnete) die Zustimmung verweigert. Zwar verfügten
Nea Dimokratia (ND) und PASOK zusammen über 160 Sitze. Bei der Abstimmung
befürworteten aber nur 153 Abgeordnete der beiden Parteien das Sparpaket und
damit gerade einmal zwei mehr als notwendig. Sechs PASOK-Parlamentarier und ein
ND-Abge-ordneter hatten nicht zugestimmt und waren unmittelbar nach der
Abstimmung aus ihren Parteien ausge-schlossen worden. Insgesamt stimmten 128
Parlamentarier dagegen, 18 enthielten sich der Stimme und einer war nicht
anwesend. (1) Mittlerweile hat ein siebter PASOK-Abgeordneter den Austritt aus
seiner Partei verkündet. (2) Damit ist die PASOK, die bei der Wahl im Juni 33
Sitze errungen hatte, künftig nur noch mit 26 Abgeordneten im Parlament vertreten.
Die ND verfügt nach dem Ausschluss noch über 126 Sitze.
Die PASOK erlebt einen rasanten
Niedergang.
Bei der Parlamentswahl im Jahr 2009 hatte sie mit Giorgos
Papandreou an der Spitze noch 43,9 Prozent der Stimmen erhalten und die Nea
Dimokratia in der Regierung abgelöst. Bei den vorgezogenen Neuwahlen am
6. Mai kam sie nur noch auf 13,2 Prozent, bei der Neuwahl sechs
Wochen später, am 17.Juni, erhielt sie 12,3 Prozent. In neueren Umfragen liegt
die Zustimmung für die PASOK jedoch bei nur noch um die 6 Prozent. Die
neo-faschis-tische Partei „Goldene Morgenröte“, die bei der Wahl am 17. Juni
6,9 Prozent der Stimmen erhalten hatte und aktuell mit 18 Abgeordneten im
Parlament vertreten ist, wird in Umfragen dagegen mit um die 14 Prozent inzwischen
als drittstärkste Partei in Griechenland gesehen. (3)
Dass das neue Sparpaket gestern trotz umfassender
Streiks und des Protests von Zehntausenden vom Parlament mit den Stimmen der
Nea Dimokratia und der PASOK gebilligt wurde, wird die beiden Parteien in der
Bevölkerung wohl kaum beliebter machen. Die PASOK ist jetzt vom Zerfall
bedroht, die demokratische Linke hat nun erstmals demonstriert, dass sie die
Regierungsarbeit nicht in jedem Fall mitträgt. Einigkeit ist in der Koalition eindeutig
nicht gegeben und der Druck aus der Bevölkerung und seitens der ohnehin starken
Opposition wird weiter steigen, wenn mit der Umsetzung der neuen Sparmaßnahmen
begonnen wird.
Es ist schwer vorstellbar, wie unter
diesen Voraussetzungen in den nächsten Wochen eine geordnete Regierungs-arbeit noch
möglich sein soll. Im Zweifelsfall, das heißt wenn Dimar sich erneut
verweigert, verfügen ND und PASOK bei Abstimmungen nur noch über eine Mehrheit
von zwei Stimmen – vorausgesetzt es treten nicht weitere Abgeordnete aus oder
verweigern sich.
Mit dem höchst umstrittenen Evangelos
Venizelos an der Spitze der PASOK und möglicherweise bevorstehenden Enthüllungen
im Skandal um die Lagarde-Liste sowie im Zuge des anhaltenden Streits über die
Sparmaßnahmen ist letzteres nicht auszuschließen. Ein Rücktritt von Venizelos wäre
jedoch eine neue Belastungsprobe für die Regierungskoalition. Es ist die Frage,
ob sein Nachfolger zwecks Rettung der Partei nicht auch andere Positionen würde
vertreten müssen, die die Entscheidungsfindung in der Koalition gegebenenfalls
erschweren.
Die Ausgangslage in Portugal und Spanien
ist zweifellos eine andere gewesen als in Griechenland. Vergleichbare Skandale
gibt es dort ebenfalls nicht. Der Entwicklungspfad scheint dennoch derselbe zu
sein. Für die Regierungen in Lissabon und Madrid ist der Blick nach
Griechenland deswegen – zumindest ansatzweise – ein Blick in die Zukunft.
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