Sonntag, 4. November 2012

Griechenland-Update: Parlamentsabstimmung stellt Koalitionsregierung vor Zerreißprobe

Während weltweit die Aufmerksamkeit auf die Präsidentschaftswahl in den USA am 6. November gerichtet ist, steht auch in Griechenland und damit für Europa eine entscheidende Woche bevor.

Am Sonntag, den 11. November, wird das griechische Parlament spätabends über den Haushaltsplan für das Jahr 2013 abstimmen. Am Mittwoch, den 7. November steht das über die letzten Monate mit der Troika in zähem Ringen ausgehandelte neue Sparpaket (1) zur Abstimmung.
Zwar geben sich Nea Dimokratia (ND) (127 Sitze) und PASOK (33 Sitze) optimistisch, die nötige einfache Mehrheit (151 Stimmen) im Parlament mit seinen 300 Abgeordneten für den Haushalt 2013 und vor allem auch für das mit der Troika vereinbarte, aber nach wie vor heftig umstrittene neue Sparpaket zu bekommen. Allerdings hat der dritte Koalitionspartner, die Demokratische Linke (Dimar) (16 Sitze), bereits angekündigt, dem Sparpaket nicht zuzustimmen und es ist nicht sicher, ob sich die Partei nicht auch dem Haushaltsplan bei der Abstimmung verweigern wird.
Zwar haben ND und PASOK mit zusammen 160 Abgeordneten eine Mehrheit im Parlament, aber einige PASOK-Abgeordnete haben ebenfalls angekündigt, dem Sparpaket am Mittwoch nicht zuzustimmen und es gibt auch Fälle unsicheren Abstimmungsverhaltens. Aktuell wird seitens der PASOK damit gerechnet, dass mindestens 26 der 33 Abgeordneten der Partei zustimmen werden und die Absegnung der neuen Austeritätsmaßnahmen mit zwischen 153 und 157 Abgeordneten sicher ist. (2)
Unabhängig davon, ob die Abgeordneten von Dimar nur dem Sparpaket oder auch dem Haushalt ihre Stimme verweigern, wird damit gerechnet, dass die Koalitionsregierung infolgedessen wahrscheinlich vor dem Bruch steht. Denn das geschlossen ablehnende Votum Dimars wird als Anzeichen dafür gewertet, dass die Partei aus der Regierung aussteigen wird. Die dann von ND und PASOK geführte Regierung hätte aber nur noch eine schwache Mehrheit im Parlament. (3)
Was die Lage jedoch erschwert, ist, dass die PASOK seit dem Beginn des Skandals um die 2010 dem damaligen griechischen Finanzminister Giorgos Papaconstantinou (PASOK) zugegangene, bis vor kurzem aber verschwundene Lagarde-Liste mit den Namen von knapp 2.000 potenziellen griechischen Steuerflüchtlingen selbst vor einer Zerreißprobe steht. Im Brennpunkt der Kritik steht vor allem auch das Verhalten des gegenwärtigen Vorsitzenden der PASOK, Evangelos Venizelos. Denn dieser hatte erstens Kenntnis von der Liste, war ihr aber in seiner Zeit als Finanzminister ebenfalls nicht nachgegangen. Gleich zu Beginn der Affäre hatten bereits prominente Mitglieder der Partei aus Wut und Enttäuschung den Austritt aus der PASOK angekündigt. (4) Jetzt stellte sich jedoch zweitens heraus, dass es sich bei der Kopie dieser verschwundenen Liste, die Venizelos dem aktuellen Finanzminister Stournaras vor wenigen Wochen zur Verfügung gestellt hatte, um eine offensichtlich manipulierte Version handelt. (5) Jedenfalls entspricht sie nicht dem Original, um dessen erneute Zustellung Griechenland die französische Regierung inzwischen gebeten hat.
Der Fall hat eine staatsanwaltschaftliche Voruntersuchung ausgelöst. In deren Mittelpunkt steht das Verhalten der beiden ehemaligen PASOK-Finanzminister Papaconstantinou und Venizelos sowie der beiden ehemaligen Leiter der für die Steuerfahndung zuständigen Behörde (SDOE), Yiannis Kapeleris und Yiannis Diotis. Dabei geht es darum, ob ein Fehlverhalten vorliegt, das eine strafbare Handlung begründet. Im Falle der beiden ehemaligen Finanzminister Papaconstantinou und Venizelos wird das Parlament auf der Grundlage des zur Voruntersuchung erstellten und dem Obersten Gericht inzwischen zugeleiteten Berichts entscheiden, ob es eine formale Unter-suchung gegen die beiden einleiten will. Allerdings wurde gestern gemeldet, dass das Parlament diesen voraus-sichtlich erst in etwa zwei Wochen erhalten wird. (6)
Insofern ist sichergestellt, dass dieser Fall die bevorstehenden Abstimmungen über den Haushalt 2013 und das neue Sparpaket nicht zusätzlich belastet.
Gleichwohl finden die Abstimmungen unter schwierigen Bedingungen statt, weil für die bevorstehende Woche erneut umfangreiche Proteste und Streiks, die das Land für Tage lahmlegen dürften, angekündigt worden sind. (7)
Dieser Hintergrund ist für die PASOK kritisch. Die Abgeordneten der Partei dürften sich darüber im Klaren sein, dass sich der Volkszorn auf sie entlädt, falls sie ungeachtet der anhaltenden massiven Proteste jetzt mit ihrer Stimme sicherstellen, dass das Sparpaket verabschiedet und anschließend der Bericht zum Skandal um die verschwundene Lagarde-Liste Belastendes für die beiden ehemaligen Finanzminister der PASOK enthüllen sollte. Es ist nicht auszuschließen, dass Evangelos Venizelos sich in einem Verfahren stellen muss, das durchaus das Ende seiner politischen Karriere bedeuten könnte. Sollte sich die demokratische Linke (Dimar) dann bereits aus der Regierung verabschiedet haben, wäre eine ernste Regierungskrise die Folge.
In der kommenden Woche stehen in Griechenland somit nicht nur das Sparpaket und die finanzielle Absicherung des Landes zur Entscheidung, sondern auch, ob die Regierungskoalition endgültig zerbricht und es wieder Neuwahlen wird geben müssen. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist beträchtlich gestiegen und die Vorsicht gebietet es, diese Möglichkeit in Betracht zu ziehen. Es könnte folglich auch für die Euro-Retter wieder eine turbulente Woche bevorstehen.

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