Mittwoch, 19. Dezember 2012

Krisenstrategien in der Sackgasse: Geldflut, Sparwut und Börsenjubel


Ben Bernanke hat jüngst verkündet, die Fed werde ab Anfang nächsten Jahres die Notenpresse noch schneller laufen lassen. Der Ankauf von Hypothekenpapieren in Höhe von 40 Mrd. Dollar monatlich soll fortgesetzt werden. Darüber hinaus wird die Fed als Ersatz für die auslaufende Operation „Twist“ (Austausch von kurzfristigen gegen langfristige Anleihen im eigenen Portfolio) monatlich Staatsanleihen im Wert von 45 Mrd. Dollar erwerben. Dadurch wird sich die Bilanz der Fed um 1.200 Mrd. Dollar auf etwa 4.000 Mrd. Dollar aufblähen. Außerdem will die US-Notenbank jetzt den Leitzins so lange in der bereits Mitte Dezember 2008 beschlossenen Spanne von 0-0,25 Prozent halten, wie die Arbeitslosigkeit oberhalb einer Quote von 6,5 Prozent liegt. (1)

Fast hat man den Eindruck, als habe die Fed nun aus lauter Verzweiflung darüber, dass die bisher schon im Rahmen ihrer lockeren Geldpolitik ergriffenen Maßnahmen die US-Wirtschaft nicht in Schwung gebracht haben und weil sich Washington einfach nicht auf einen Kurs verständigen kann, wohlweislich schon jetzt angekündigt, zum Jahreswechsel gleich die ganze Kiste mit Feuerwerkskörpern anzuzünden.

Wenn es nach dem 2009 als Premier Japans mit überwältigender Mehrheit ab- und nun mit ebenso überwälti-gender Mehrheit wiedergewählten Shinzo Abe und den Märkten geht, sollte auch die Bank of Japan dies tun.

Doch während sich die Politiker in Washington nach wie vor vereinfacht ausgedrückt darüber streiten, ob Keynesianismus oder Wirtschaftsliberalismus den Weg aus der Schuldenkrise und der Wirtschaftsstagnation weist, gedenkt Abe – der im Unterschied zu Obama nun über eine Zweidrittelmehrheit im Unterhaus verfügt – sich von der Austeritätspolitik zu verabschieden und die japanische Wirtschaft mit Konjunkturprogrammen und lockerer Geldpolitik zu befeuern. Zur Not will er die eigene Notenbank sogar dazu zwingen, ihre Geldpolitik weiter zu lockern. (2)

Damit setzt er als erster einen Kontrapunkt zur Welle austeritätspolitischer Konzepte, der aber nicht weniger problematisch ist. Ob sich das als wegweisende Entscheidung erweist, ist mehr als fraglich.

Europa wiederum bekämpft die Schuldenkrise schon von Beginn an mit einer wirtschaftsliberal begründeten Austeritätspolitik – und ebenfalls mit einer zunehmend lockeren Geldpolitik. Dass dies irgendwo einen anhaltenden Wirtschaftsaufschwung bewirkt hätte, kann indes wohl niemand ernsthaft behaupten. Im Gegenteil, in fast allen Schuldenstaaten hat sich die Wirtschaftskrise verschärft. Das Resultat ist, dass Euro-Gruppe, EZB und Internationaler Währungsfonds beim Krisenkurs mittlerweile allenfalls noch in der Lage sind den Anschein zu erwecken, sie stünden wie ein Mann dahinter.

Wie es wirklich aussieht, zeigt sich gegenwärtig vielleicht am deutlichsten bei der Frage, wer Anfang 2013 Jean-Claude Juncker als Euro-Gruppen-Chef ablösen soll. Frankreich will Wolfgang Schäuble wegen dessen Präferenz für den austeritätspolitischen und stabilitätsorientierten Kurs nicht. Genau deswegen will Berlin jedoch auch keinen Franzosen auf diesem Posten. Jemand aus einem Schuldenstaat zu ernennen, kommt nicht infrage – das wäre ja noch schöner. Luxemburgs Finanzminister Luc Frieden wiederum will nicht, seine finnische Kollegin Jutta Urpilainen verzichtet ebenfalls. Als scheinbar einzig verbliebener möglicher Kandidat und deswegen – so wird in der Presse gemutmaßt – als Verlegenheitslösung gilt der erst seit wenigen Wochen amtierende nieder-ländische Finanzminister Jeroen Dijsselbloem – ein Sozialdemokrat und Agrarökonom, der zuvor weder mit der europäischen Ebene noch mit Finanzfragen allzu viel zu tun hatte. (3)

Fakt ist: Weder in Europa, noch in den USA, noch in Japan hat die Politik bisher eine überzeugende Krisenpolitik zustande gebracht. Gerade deswegen wurden so viele Regierungen abgewählt.

Von Finanzmarktstabilität kann keine Rede sein. Anders als versprochen hat die Politik bisher noch immer nicht die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass sich eine Finanzmarktkrise wie die nach der Lehman-Pleite im Herbst und Winter 2008 wiederholen kann. Alles wurde immer wieder auf die lange Bank geschoben und weich-gespült, aus Sorge um die Finanzmarktstabilität und damit es den „National Champions“ unter den Banken nicht wehtat. Die nach wie vor hohe Sensibilität der Politiker sowie speziell auch der Geldpolitiker gegenüber den Märkten bei allen ihren Entscheidungen und Äußerungen belegt das. Vor allem aber zeigen dies auch die vielen Skandale und die entsprechenden Verfahren in der jüngsten Zeit, in die Großbanken verwickelt sind (Libor- und Euribor-Manipulation, Geldwäsche, Insiderhandel, Steuerhinterziehung u.a.).

Darüber hinaus rutschen auch immer mehr Volkswirtschaften wieder (oder noch tiefer) in die Rezession. Nachdem nun schon von Zombie-Banken und –Staaten die Rede war, mag man sich beinahe fragen, wann wir über Zombie-Volkswirtschaften zu reden beginnen.

Sicher, letzteres ist eine Übertreibung. Ganz nüchtern betrachtet ist jedoch zu konstatieren, dass die Krisen-politik in Europa, den USA und Japan gleichermaßen von ideologischer Fixierung und Inflexibilität in einem Ausmaß geprägt ist, das die Bewältigung der Krise zu einem nahezu aussichtslosen Unterfangen werden lässt.

Die Folge davon, das heißt, der immer mehr Menschen erfassenden, sich vertiefenden Krise und der Unfähigkeit der Politik, diese zu überwinden, sind überall wieder verstärkt aufkommende Parteien am äußeren rechten und linken Rand des Parteienspektrums und generell eine Renaissance des konservativen Nationalismus. Das gilt nicht nur für anerkannte Demokratien, wie z.B. Japan. Es gilt beispielsweise ebenso für Russland und China.

Ideologische Fixierung und mangelnde Flexibilität kann man China indes in wirtschaftspolitischer Hinsicht sicherlich nicht vorwerfen. Es wäre falsch zu suggerieren, Chinas Führung sähe sich bezüglich der Heraus-forderung, ein neues Wirtschaftsmodell für wirtschaftliche Entwicklung und Wachstum zu finden, vor die Wahl zwischen Rückkehr zur Planwirtschaft oder dem Bekenntnis zur freien Marktwirtschaft gestellt. Das wäre auch deswegen falsch, weil diese Gegenüberstellung einer liberal-neoklassischen Sicht der Wirtschaftsrealität entspricht und somit schon eine paradigmatische Festlegung darstellt, die angesichts der massiven Schwächen der zugrundeliegenden Theorie gar nicht zu rechtfertigen ist.

Noch zeichnet sich nicht ab, wie China die Aufgabe, ein neues Wirtschaftsmodell zu finden und umzusetzen, lösen wird. (4) Es spricht jedoch einiges dafür, dass der neue Präsident Xi Jinping bei der Suche nach einer Lösung weder eine – in wirtschaftstheoretischer/-politischer Hinsicht - paradigmatische Vorfestlegung treffen noch das enge, ideologisch geprägte und völlig verkrustete Diskussionsschema des Westens einhalten wird. Dass er das doch tun könnte, ist westliches Wunschdenken. Dass die USA, Japan und Europa ihre Krisen nicht in den Griff bekommen und wie wenig es ihnen gelingt, ihre Wirtschaft auf Wachstumskurs zu bringen, wird in China und anderen Ländern sehr wohl gesehen.

Mehr noch wird andernorts mithin auch viel eher als im Westen erkannt, was die zentralen Hindernisse der führenden westlichen Marktwirtschaften auf dem Weg zur Bewältigung der Krise sind. Südkorea ist dafür ein gutes Beispiel. Das Land erlebte einen beispiellosen wirtschaftlichen Aufstieg vom Agrarland zum Industrieland. Dies gelang durch eine gezielte, klassische Industriepolitik, sprich durch die gezielte Förderung der Entstehung von Konzernen in bestimmten, ausgewählten Branchen und Technologiefeldern. Jetzt haben dort die führenden politischen Parteien erkannt, dass sich die Fokussierung der Politik auf diese führenden Konzerne als Sackgasse erweist und mittlerweile viele Probleme befördert. Dazu gehören u.a.: eine gefährliche Abhängigkeit der Volkswirt-schaft von diesen wenigen, großen Konzernen (Samsung, Hyundai, LG u.a.), steigende Krisenanfälligkeit, eine schwache mittelständische Wirtschaft und ein Mangel an innovativer Erneuerung in der Wirtschaftsstruktur selbst, die immer weiter auseinanderklaffende Schere zwischen Arm und Reich. (5)

Heute wurde in Südkorea gewählt. Beide führenden Parteien, die Regierung und ihr Herausforderer, haben die angesprochenen Probleme in den Mittelpunkt ihres Wahlkampfes und in Aussicht gestellt, eine Kurskorrektur vorzunehmen. (6) Die exemplarisch angesprochenen Punkte zeigen, dass sie genau wissen, was sie ändern müssen. Wenn die Politiker dort genauso entschlossen handeln, wie sie es bisher schon all die Jahre getan haben, dann wird dies geschehen.

Diese Fähigkeit, konzeptionelle Schwächen und Fehler zu erkennen, anzusprechen und flexibel sowie undog-matisch abzustellen, ist den Politikern in Europa, den USA und Japan abhandengekommen. Dass die Neube-setzung des Postens des Euro-Gruppen-Chefs zur Tragikomödie gerät, ist ein Symbol dafür. Mehr noch kristallisiert sich immer deutlicher heraus, dass dies das eigentliche zentrale Problem der Krisenbewältigung ist – in Europa, den USA und Japan, die einst aufgrund ihrer wirtschaftlichen Dominanz ehrfürchtig-anerkennend als „Triade“ bezeichnet wurden. Erfolgskonzepte adressieren die wirtschaftliche Realität richtig. Die sich ändernde wirtschaftliche Realität bedingt jedoch, dass erfolgreiche Konzepte nicht für die Ewigkeit erfolgreich sein können, auch wenn die herrschende ökonomische Lehre dies noch immer suggeriert.

Die Schlussfolgerung daraus ist für manche vielleicht ein Schock: Wir sollten uns von der Vorstellung verab-schieden, dass unsere Wirtschaftspolitik von gestern und deren geldpolitischer Not-Ersatz von heute in Schwellenländern und aufstreben Volkswirtschaften noch eine Vorbildfunktion haben könnten – allem Börsenjubel zum Trotz.

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