Sonntag, 24. Februar 2013

Erosion des Vertrauens in die Krisenbewältigung: Rating-Ohrfeigen hier, Wähler-Ohrfeigen dort



Nun hat also die Ratingagentur Moody´s Großbritannien das Spitzenrating aberkannt. Statt „Tripple A“ wird die Kreditwürdigkeit des Landes nun mit Aa1 bewertet, allerdings bei stabilem Ausblick. Begründung: Die wirtschaftliche Schwäche, die noch einige Jahre anhalten werde und die steigende Staatsverschuldung, die die Fähigkeit der britischen Regierung verschlechtere, wirtschaftliche Schocks aufzufangen. (1)
Zur Einordnung: Laut der britischen Statistikbehörde „Office for National Statistics“ (ONS) schrumpfte die britische Wirtschaft im ersten Quartal 2012 um 0,2 Prozent, im zweiten um 0,4 Prozent und im vierten um 0,3 Prozent. Nur im dritten Quartal gab es ein Wachstum von 0,9 Prozent. (2) Großbritanniens Staatsschuldenquote schätzt der Internationale Währungsfonds (World Economic Outlook Database, Oct. 2012) für 2012 auf knapp 89 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), er rechnet aber damit, dass sie 2013 auf über 93 Prozent steigen wird. (3)
Angesichts des Versprechens des Premiers David Cameron und seines Schatzkanzlers George Osborne, Großbritanniens Staatsfinanzen und Wirtschaft mit einem harten Sparkurs wieder auf Kurs zu bringen und das AAA-Top-Rating halten zu wollen, ist die Herabstufung, vor allem aber auch deren Begründung nichts anderes als eine Ohrfeige für die britische Regierung. Denn die Bilanz dieser mit dem Regierungsantritt im Mai 2010 verfolgten Krisenpolitik ist de facto mehr als nur ernüchternd.
Während diese Zwischenbilanz nach den Erfahrungen mit der Austeritätspolitik in Griechenland, Portugal, Spanien, Italien und anderen europäischen Krisenstaaten von nüchternen Beobachtern erwartet worden war, hat jedoch die britische Regierung erwartungsgemäß ebenso wie andere, die diese Form von Krisenpolitik verfolgen, z. B. in Spanien, ein Problem damit, die Realität zu akzeptieren. Insofern ist auch die Reaktion von Schatz-kanzler George Osborne, die Herabstufung als Bestätigung für die Richtigkeit der Sparpolitik und mehr noch sogar als Ansporn zur Verdopplung der Anstrengungen zu werten (4), letztlich nichts anderes als ein hilflos wirkender Versuch der Gesichtswahrung.
Wie die Briten das bewerten, die 2015 eine neue Regierung wählen werden, kann Mr. Osborne an den dramatisch abgestürzten Umfragewerten der beiden Regierungsparteien (Tories und Liberale) sehen.
Apropos Umfragewerte und Bewertung der Krisenpolitik: Im Krisenland Italien wird an diesem Wochenende ein neues Parlament gewählt – und man braucht kein Hellseher zu sein, um vorhersagen zu können, dass der amtierende Ministerpräsident Mario Monti von den Italienern keine Bestätigung erwarten kann.
In Spanien wiederum kämpft die konservative Regierung von Premier Mariano Rajoy mit den negativen Konse-quenzen ihrer Sparpolitik und immer stärker auch mit den Folgen der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen im Korruptionsskandal, der die allein regierende Partido Popular (PP) erschüttert (5). Nicht genug, dass Spanien tief in der Rezession steckt und die Arbeitslosigkeit immer weiter steigt. Auch für den spanischen Immobilien- und Bankensektor spitzt sich die Lage weiter zu.
Dem mit 3,6 Milliarden Euro (Stand September 2012) hoch verschuldeten spanischen Immobilienkonzern Reyal Urbis droht – sofern bis Samstag nicht doch noch eine Lösung mit den Gläubigern gefunden wurde – die finale Pleite. Es wäre dann auch die zweitgrößte Unternehmenspleite in der Geschichte Spaniens und das wiederum wäre ein neuer Schlag für eine ganze Reihe spanischen Banken, bei denen der Konzern mit zwei- und dreistelligen Millionenbeträgen tief in der Kreide steht – unter anderem auch mit 460 Millionen Euro bei der bereits wegen akuter Geldnot verstaatlichten Sparkasse Bankia. (6) Insofern ist auch nicht überraschend, dass, wie berichtet wird, die Bankia nächste Woche angeblich einen Rekordverlust von mehr als 19 Milliarden Euro verkünden muss. Es wäre der größte Verlust eines spanischen Unternehmens in der Geschichte des Landes. (7) Ob Premier Mariano Rajoy diese beiden neuen Rekorde zur Ehre gereichen?
Doch wie auch immer eine Auffanglösung für den spanischen Immobilienriesen Reyal Urbis aussähe, an den Krisenursachen, nämlich dem Preisverfall auf dem Immobilienmarkt sowie den infolge der schlechten Wirtschaftslage, steigender Arbeitslosigkeit und des austeritätspolitisch befeuerten Kaufkraftschwunds platzenden Hypothekenkrediten, wird das nichts ändern.
Und so könnte der Regierung von Mariano Rajoy aufgrund seiner Krisenpolitik vielleicht durchaus schon bald bevorstehen, wozu sich diese Woche Bulgariens Regierung unter Premier Bojko Borissow, die ebenfalls einen austeritätspolitischen Kurs verfolgt, gezwungen sah. Sie trat nach anhaltenden massiven Protesten zurück. (8) Denn auch in Bulgarien war es letztlich ein Mix aus gescheiterter Krisenpolitik, gebrochenen Versprechen und Korruption, der für die Bulgaren das Fass zum Überlaufen brachte.
Was den Fall Bulgariens jedoch so besonders macht, gerade auch mit Blick auf Großbritannien, Spanien, Portugal, Italien und Griechenland, ist, dass die Bulgaren jetzt, nach dem Rücktritt der Regierung weiter protestieren. Neuwahlen reichen ihnen nicht mehr. Sie wollen einen grundlegenden Wechsel des politischen Systems, weil sie das Vertrauen in die gesamte politische Klasse ihres Landes verloren haben. (9)
Genau das ist es, was allen etablierten politischen Parteien in Krisenländern – nicht nur in den oben angesprochenen – am Ende droht, wenn sie in der Regierungsverantwortung alle gleichermaßen an der Aufgabe scheitern, ihre Volkswirtschaften aus der Krise herauszuführen und zwar in einer Weise, die den Menschen, die dort leben, wieder Zukunftsperspektiven eröffnet. Doch tatsächlich scheinen die etablierten Parteien völlig blind dafür zu sein und das ist schockierend.
Dass dem britischen Schatzkanzler George Osborne vor dem Hintergrund der desolaten Wirtschafts- und Haushaltslage und den unterirdischen Umfragewerten seiner Partei auch das i-Tüpfelchen des Ganzen, die Herabstufung der Kreditwürdigkeit durch Moody´s, nur dazu veranlasst, Durchhalteparolen auszugeben und anzukündigen, mit noch mehr Nachdruck auf dem eingeschlagenen Weg voranzuschreiten, ist symptomatisch für viele,  nicht nur konservative Regierungen in Krisenländern, nicht nur in Europa. Der spanische Mariano Rajoy redet und handelt beispielsweise in exakt der gleichen Weise und wir sollten uns vergegenwärtigen, dass Deutschland, das noch nicht in der Krise steckt, keineswegs die rühmliche Ausnahme ist. Politik so zu betreiben, wie beispielsweise George Osborne oder Mariano Rajoy das vorexerzieren, ist jedoch nichts anderes als eine in gesellschaftlicher, gesamtwirtschaftlicher und letztlich auch finanzieller Hinsicht selbstzerstörerische Kamikazepolitik.
Das ist eine harte Beurteilung, wohl wahr. Allerdings ist es in der Politik ebenso wie beispielsweise auch im gerade deswegen von vielen Politikern gerne gescholtenen Finanzsektor gängige Praxis geworden, sich der Verantwortung bzw. der Haftung für ineffektive, Schaden verursachende Entscheidungen und Aktionen schlicht deswegen zu entziehen, weil dies möglich ist. Eine sich vertiefende und immer weitere Kreise der Gesellschaft erfassende und nach unten ziehende wirtschaftliche Krise bereitet zwar stufenweise den Boden für Unzufriedenheit, Massenproteste und Ausschreitungen. Aber es ist die Politik die diese provoziert, weil sie die wirtschaftliche Krise nicht in den Griff bekommt.
Bulgarien ist überall und anders wird es erst mit einer anderen, das heißt mit einer kompetenten, unprätentiösen und vor allem tatsächlich auf das Gemeinwohl gerichteten Politik, die sich auch an ihren objektiv überprüfbaren Ergebnissen messen lässt.
Doch wo gibt es das? Und, was genau so entscheidend ist, wo gibt es genügend Bürger, die das erkennen und einfordern bevor es soweit kommt wie in Bulgarien, Griechenland, Spanien, Portugal und Italien oder wie einst in der Weimarer Republik? Denn Desinteresse und beständiges Wegschauen der Bürger sind es, die einer solch fehlgeleiteten Politik den Boden bereiten.
Und wo wir gerade beim Thema sind: Auch auf Zypern wird an diesem Wochenende gewählt. Der Spitzen-kandidat der konservativen Partei „Demokratische Sammlung“ (DHSY), Nikos Anastasiades, hatte in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl mit 45 Prozent der Stimmen die einfache Mehrheit verfehlt. Mit diesem Ergebnis geht er nun in die Stichwahl. Er dürfte der Euro-Gruppe mit Blick auf die zur Abwendung des Staatsbankrotts dringend benötigten 17,5 Rettungsmilliarden sicherlich die wenigsten Probleme bereiten. Ob er sie jedoch gewinnt, ist – dem Anschein zum Trotz – noch nicht ganz sicher.
Zwar bekam sein Kontrahent, der Präsidentschaftskandidat von der regierenden Kommunistischen Partei Zyperns (AKEL), der bisherige Gesundheitsminister Stavros Malas, in der ersten Runde nur 27 Prozent der Stimmen. Allerdings macht er sich große Hoffnungen, die Wähler von Ex-Außenminister Giorgos Lilikas vom Mitte-Links-Bündnis, der es nicht in die Stichwahl schaffte, aber in der ersten Runde auf 25 Prozent der Stimmen gekommen war, für sich gewinnen zu können. (10) Stavros würde jedoch, wenn er die Stichwahl für sich entscheiden könnte, das Troika-Standard-Paket nicht so einfach akzeptieren. Einmal mehr stünden möglicherweise von den Märkten nervös verfolgte, schwierige Verhandlungen am Rande der Zahlungsunfähigkeit bevor.
Es steht nicht wirklich zu erwarten, dass die die Wähler auf Zypern und Italien zu einem entspannten Start in die neue Woche beitragen werden.

4 Kommentare:

  1. Gute Analyse. Mir fehlt allerdings der entscheidende Punkt, dass die Euro-"Retter" von vornherein nur auf der Vertrauen der "Märkte" schielen, das Vertrauen der Bürger jedoch als zweitrangig behandeln. Dies war der Kardinalfehler, der nun dazu führt, dass beide Seiten unzufrieden sind. Die große Frage ist nun, wann (endlich) auch das Vertrauen in Kanzlerin Merkel schwindet, die wie eine Spinne im Netz dieser verfehlten "Rettung" sitzt ... http://lostineu.eu/von-angie-lernen/

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  2. Hallo Eric B.,

    ja, das stimmt. Ich habe auch wiederholt darauf hingewiesen, dass die Märkte der einzig ausschlaggebende Orientierungspunkte der Retter dies- und jenseits des Atlantiks sind.

    Außerdem ist natürlich die Schuldensituation Großbritanniens beträchtlich schlimmer, als die von mir zitierte Schuldenquote des IWF (knapp 89 Prozent in 2012) suggeriert. Denn die Briten rechnen außergewöhnliche Lasten im Zusammenhang mit der Rettung der britischen Banken heraus. Bezieht man die mit ein - wie Querschuesse/Steffen Bogs das macht - kommt eine Schuldenquote von rund 140 Prozent des Bruttoinlandsproduktes dabei heraus ... und im Unterschied zum Fall Griechenland regt sich niemand darüber auf.

    So gesehen kann man natürlich fragen, ob die Herabstufung der britischen Bonität nicht früher hätte geschehen und deutlicher hätte ausfallen müssen. Aber wir wollen ja nicht kleinlich sein. ;-)

    Grüße
    SLE

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  3. Und es kommt für GB noch eine lästige Petitesse ;-) hinzu: Bald sind Nordseeöl und -gas zu Ende! Beispiel hier

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    1. Und es gibt auch noch eine weitere Petitesse, wenn man bedenkt, dass die Briten eigentlich - wie gerade auch das Abkommen mit China, London zu einer Drehscheibe für Yuan-Geschäfte zu machen, zeigt - große Hoffnungen auf das Geschäft mit China setzen.

      Denn da gibt es einige Spannungen und China scheint London gerade vor Augen zu führen, dass sie sich da nicht sicher sein können und Peking am längeren Hebel sitzt.

      Siehe dazu: http://www.telegraph.co.uk/news/worldnews/asia/china/9882278/Chinese-state-media-threatens-Britain-with-severe-punishment.html

      Grüße
      SLE

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