Montag, 8. April 2013

Portugal – das nächste Euro-Land fährt vor die Wand



Nachdem sich nun das Verfassungsgericht – aus Sicht der portugiesischen Regierung – „erdreistet“ hat, Teile des geplanten Sparhaushalts Portugals für das Jahr 2013 für verfassungswidrig zu erklären, kommen von außen Ermahnungen, die vereinbarten Sparziel einzuhalten, während zugleich erstmals von der möglichen Notwendigkeit eines Antrages für ein zweites Hilfspaket die Rede ist.

Natürlich will die liberal-konservative Regierung von Passos Coelho, die im Parlament über eine klare Mehrheit verfügt, um jeden Preis vermeiden, neue Finanzhilfen beim Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) der Eurozone und beim Internationalen Währungsfonds (IWF) zu beantragen. Auch hat sie bereits Einschnitte an anderen Stellen angekündigt, um das etwa 1,25 Milliarden Euro große Loch im Haushaltsplan zu stopfen, das durch die vier vom Verfassungsgericht gekippten Maßnahmen – Abschaffung des 14. Monatsgehalts für Staats-diener und Rentner sowie Abgaben auf Arbeitslosenhilfe und Krankengeld – entstanden ist. (1) Nach dem Willen der Regierung soll es jetzt Einschnitte in den Bereichen Sozialversicherung, Gesundheit, Bildung und staatliche Betriebe geben - erneut. (2)

Allerdings ist fraglich, ob sich dies wirklich so einfach durchsetzen lässt – es wäre nicht das erste Mal, dass die Regierung bei ihren Sparplänen aufgrund von Protesten zurückrudern muss. Denn die Protestbereitschaft der aufgebrachten Portugiesen ist groß. Hunderttausende gingen schon auf die Straße. Außerdem lässt sich die Opposition für die nun geplanten Einschnitte offensichtlich nicht von der Regierung ins Boot holen, auch wenn die nun genau das versuchen will. Denn die Opposition hält diese Politik und damit auch die Regierung, die nicht den Mut habe, Fehler einzugestehen und sich stattdessen hinter dem Verfassungsgericht verstecke, für gescheitert. Sie fordert jetzt nicht nur Neuwahlen, sondern Maßnahmen zur Stimulierung der Wirtschaft und den Defizit-fahrplan der sogenannten Troika (EU-Kommission, EZB und IWF) neu zu verhandeln. (3)

Zweites Hilfspaket, Neuwahlen, Neuverhandlung des Sanierungskonzepts mit der Troika?

Das kommt einem doch alles sehr bekannt vor!

Ein Blick zurück zu den Anfängen der europäischen Schuldenkrise

Als 2010 das erste Hilfsprogramm der EU und des IWF für Griechenland mit Krediten im Umfang von insgesamt 110 Milliarden Euro bezogen auf einen Zeitraum von drei Jahren geschnürt und vom griechischen Parlament Anfang Mai 2010 verabschiedet worden war (4), hatte es geheißen, es würden keine weiteren Hilfen mehr für das Land erforderlich sein. Die Begründung war einfach: Die Umsetzung des Sanierungskonzepts der Troika, werde das Land aus der Schuldenmisere führen – was bis heute nicht geschehen ist.

Nun war und ist der Fall Griechenland freilich etwas komplizierter als in den anderen europäischen Krisenstaaten. Das liegt insbesondere an den fehlenden funktionsfähigen und zudem aufgeblähten Verwaltungsstrukturen, an den ernsten Korruptionsproblemen und an der ausgeprägten Wirtschaftsstrukturschwäche. Auch wurden die von der Troika geforderten Maßnahmen nur mit erheblichen Verzögerungen in Angriff genommen, wohl wahr.

Gleichwohl erinnert die Situation, in der sich Portugals Regierung nun befindet, der der Regierung von Giorgos Papandreou (PASOK) im Herbst 2011 sehr.

Bereits Ende Juli 2011 war das zweite Hilfspaket für Griechenland zwischen EU, IWF und griechischer Regierung vereinbart worden. Es sah neben neuen Krediten aus dem EFSF und vom IWF in Höhe von insgesamt 109 Milliarden Euro erstmals auch eine „freiwillige“ Beteiligung der privaten Gläubiger vor (Schuldenschnitt) – damals war von einem Anteil bzw. Forderungsverzicht in Höhe von 37 Milliarden Euro die Rede. (5)

Der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy sagte damals zur Bankenbeteiligung: "Das machen wir nur für Griechenland, wir werden es für kein anderes Land der Euro-Zone machen. Wir sagen klar und deutlich, dies ist ein Sonderfall." (6) Freilich gibt es mit der vereinbarten Zwangsbeteiligung der Kunden von Banken in Zypern nun einen neuen „Sonderfall“.
 

Im Gegenzug musste sich Griechenland 2011 zu weiteren Sparmaßnahmen verpflichten. Was noch fehlte, war die Zustimmung des griechischen Parlaments.

Doch als Ende Oktober 2010 der Zeitpunkt der Abstimmung des Parlaments näher rückte, brach der Minister-präsident Giorgos Papandreou unerwartet aus dem Fahrplan aus. Mit Blick auf die massiven Widerstände gegen den Sparkurs in der Bevölkerung verkündete er ohne vorherige Abstimmung mit den Euro-Rettern, er wolle die griechische Bevölkerung über das mit den neuen Hilfen verbundene Sparprogramm abstimmen lassen. (7) An den weltweiten Aktienmärkten kam es daraufhin zu Kurseinbrüchen. Frankreich und Deutschland machten Druck und fast sofort knickte Papandreou ein, ruderte zurück (8) und besiegelte damit zugleich das Ende seiner Amtszeit als griechischer Premier.

Was folgte, war die Technokraten-Regierung unter der Leitung von Lucas Papademos und Neuwahlen Anfang Mai 2012, die mit einem Absturz der etablierten Parteien PASOK (13,18 Prozent) und Nea Dimokratia (ND) (18,85 Prozent) endeten und mit einem unerwartet großen Erfolg des bis dahin völlig unbedeutenden Linksbündnisses SYRIZA (16,78 Prozent), das damit auf Anhieb zweitstärkste politische Kraft wurde – so wie vor kurzem die zuvor unbedeutende 5-Sterne-Bewegung von Beppe Grillo bei den Parlamentswahlen in Italien (zur Ablösung der Technokraten-Regierung von Mario Monti).

SYRIZA prägte daraufhin die Koalitionsverhandlungen vor allem mit der Forderung, die Vereinbarungen mit Troika für nichtig zu erklären und das Sparpaket mit der Troika neu zu verhandeln. Die Forderungen der Opposition in Portugal gehen jetzt also durchaus in dieselbe Richtung, auch wenn dort nicht gleich die Verträge infrage gestellt werden – jedenfalls noch nicht. Dasselbe lässt sich auch über die Forderungen der 5-Sterne-Bewegung von Beppe Grillo sagen. Ob es in Italien doch noch zu einer Regierungskoalition oder ebenfalls gleich wieder zu Neuwahlen kommt, ist unklar.

Die Vereinbarungen Griechenlands mit der Troika wurden eingehalten, zu einer echten Neuverhandlung kam es nicht, weil SYRIZA bei der erneuten Neuwahl im Juni 2012 nicht an die Regierung gewählt wurde. Doch inzwischen ist die griechische Regierungskoalition infolge neuer harter Sparmaßnahmen und des Skandals um die sogenannte Lagarde-Liste – mit Namen von potenziellen griechischen Steuersündern mit Vermögen bei der HSBC Bank in der Schweiz – wieder ins Wackeln geraten. (9) Denn die Parlamentsmehrheit ist durch Partei-austritte und –ausschlüsse in wenigen Monaten bereits stark zusammengeschmolzen und ein Ende der Einschnitte und der Krise sowie der Aufarbeitung des Skandals ist nicht absehbar.

Das Sanierungskonzept der Troika hat die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Probleme in Griechenland verschärft. Bei einem einzigen Hilfspaket ist es nicht geblieben. In dem Maße, in dem dort die wirtschaftliche Basis infolge des Sparkurses (Einbruch der Binnennachfrage, Insolvenzwelle) weiter erodiert, verschlechtern sich die Perspektiven für das Land, zurück in die finanzielle Unabhängigkeit zu gelangen.

Das gilt in ähnlicher Weise – abgestuft – ebenso für Portugal, für Spanien und Italien, auch wenn sich diese Länder an unterschiedlichen Punkten der skizzierten Entwicklung befinden, die Griechenland bereits durchlaufen hat.

Griechenland ist kein Einzelfall geblieben.

Zurück zur portugiesischen Realität

Der Regierung Portugals wird es schwerlich gelingen, den von der Troika geforderten Sparkurs durchzusetzen, ohne dieselben Schwierigkeiten wie in Griechenland heraufzubeschwören. So betrachtet ist annähernd vorher-sehbar, was in Portugal geschehen wird: Das zweite Hilfspaket und ein verschärftes Spardiktat werden kommen und damit die politische Instabilität, die für Griechenland seit November 2011 zum Dauerzustand geworden ist. Noch will das kein Euro-Retter wahrhaben, vor allem nicht Staatspräsident und Regierung in Portugal. Doch früher oder später wird es auch dort Neuwahlen geben.

Mit Portugal wird somit gerade ein weiteres Euro-Land „vor die Wand“ gefahren, nur nennt man das nicht so. Man nennt es „Euro-Rettung“.

Die Schuldenkrise zeigt jedoch heute mehr denn je, dass die Strukturpolitik der Europäischen Union, mit der die wirtschaftlichen Disparitäten abgebaut werden sollten, genau das nicht erreicht hat. Die wirtschaftliche Basis der Krisenstaaten in der Peripherie ist offensichtlich viel zu schwach, um drastische Sparhaushalte unbeschadet überstehen oder gar gestärkt daraus hervorgehen zu können. Das Wirtschaftsmodell der EU funktioniert so nicht (siehe dazu ausführlich (10) und (11)), die Austeritätspolitik ebenso wenig. Die Einführung des Euro bzw. der Wegfall der wichtigen Möglichkeit der Währungsanpassung war die Weichenstellung, die dies sukzessive und dann explosionsartig verstärkt durch die historische Finanzmarkt- und Weltwirtschaftskrise offen zu Tage treten lassen hat.

Von dieser Krise haben sich vor allem schwache europäische Mitgliedsstaaten bis heute nicht erholt oder wurden allenfalls notdürftig stabilisiert. Dass es nun aber eben auch mehr und mehr die großen Mitgliedsstaaten trifft bzw. noch treffen wird, hängt mit eben diesem Wirtschaftsmodell zusammen. Denn dort sitzen hauptsächlich die bisherigen, eigentlichen Profiteure dieses Modells, die sogenannten National Champions. Nur fließen eben die Profite bedingt durch das Abgleiten von immer mehr EU-Staaten in die Rezession heute innerhalb der EU nicht mehr so wie noch vor der Finanzmarktkrise. Die Automobilindustrie ist dafür ein gutes Beispiel.

Die Euro-Retter versuchen also genau genommen nicht in erster Linie den Euro zu retten, sondern dieses Wirtschaftsmodell, auf dessen Stabilität und Erfolg die Stabilität des Euro gründet. Das kann und wird so nicht funktionieren. Mit einer Fortsetzung des Sparkurses und Reformen für die EU, wie es jetzt etwa der britische Premier David Cameron fordert (12), ist es für Europa jedenfalls ganz sicher nicht getan. Aber David Cameron hat natürlich auch seine eigenen Probleme ...


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4 Kommentare:

  1. Es wird langsam Zeit, daß Portugal aus dem Euro raus geht, so kann das nicht weitergehen und noch schlimmer kann es nicht werden.

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    1. Die EU könnte sich alternativ auch überlegen, für wirtschaftsstrukturschwache Krisenstaaten temporär und möglicherweise auf spezifische Sektoren begrenzt Schutzzölle zuzulassen, damit diese nicht dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt sind und so die heimische Wirtschaft eine Chance hat, sich zu entwickeln bzw. aufzuholen.

      In den folgenden beiden Aufsätzen wird dieser Ansatz, den ich einem Währugsaustritt vorziehen würde, etwas ausführlicher erklärt:

      http://stefanleichnersblog.blogspot.de/2012/04/endspiel-um-griechenland.html

      http://stefanleichnersblog.blogspot.de/2012/03/in-der-wachstumsfalle-griechenland-co.html

      Wermutstropfen: Dafür müsste in den EU-Verträgen eine Ausnahmeklausel für den ansonsten vereinbarten Freihandel eingefügt werden.

      Viele Grüße
      SLE

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  2. Link 10: Die europäische Krise (Teil 2): ...
    Link 11: Die Seite, nach der Sie im Blog suchen, ist nicht vorhanden.
    Was hab' ich falsch gemacht?

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    1. Danke für den Hinweis. Ich habe den Fehler behoben. Jetzt funktioniert der Link (11).

      Ergänzend möchte ich dazu auch noch den dritten Teil von "In der Wachstumsfalle - Griechenland & Co." empfehlen, weil dort die mögliche Alternative zum Wachtsummodell thematisiert wird. Hier der Link zum Teil 3:

      http://stefanleichnersblog.blogspot.de/2012/03/in-der-wachstumsfalle-griechenland-co.html

      Viele Grüße
      SLE

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