Was geschieht wenn das gesamte politische
Establishment eines Landes beim Krisenmanagement versagt und das Vertrauen in
der Bevölkerung verspielt hat?
Demokratische Wahlen erbringen keine
regierungsfähigen Mehrheiten mehr und die etablierten Parteien sind unfähig,
sich auf eine gemeinsame Politik zu verständigen.
Das ist in Italien der Fall – so wie es seinerzeit
auch in der Weimarer Republik der Fall war.
Nachdem sich Italiens Parlamentarier nicht
einmal mehr auf die Wahl eines neuen Staatspräsidenten einigen konnten, mussten
sie den alten überzeugen, weiterzumachen: Giorgio Napolitano (87). Der hat
seine Zustimmung von Zugeständnissen der etablierten Parteien abhängig gemacht
und konnte diese so dazu verpflichten, eine Regierung zu bilden, die letztlich
seinen Vorstellungen entspricht und von einer Großen Koalition des Mitte-Links-Bündnisses
(PD) mit Silvio Berlusconis PdL und der Zentrumspartei Mario Montis´ (Scelta
Civica) getragen werden soll.
Damit ist Italien einen Schritt weiter in
Richtung Weimarer Verhältnisse gerückt. Denn heute wurde infolgedessen eine
Regierungsmannschaft vereidigt, die zwar nicht mit der Autorität des
Staatspräsidenten Giorgio Napolitano regieren wird. Gleichwohl ist es ein
Kabinett, das nach klaren Vorgaben des Staatspräsidenten zusammengestellt und
von diesem abgesegnet wurde.
Was ebenfalls wichtig ist: Diese neue
Regierung scheint im Kern ganz klar darauf ausgelegt zu sein, Kontinuität
sicherzustellen und das heißt, die europäische Krisenpolitik fortzusetzen, die
schon die Technokraten-Regierung von Mario Monti verfolgte. Darauf deuten drei
wichtige Personalentscheidungen hin (2):
Erstens ist der von Napolitano
ausgewählte, neue Regierungschef Enrico Letta ein erfahrener Europapolitiker
und er gehört definitiv zum politischen Establishment.
Zweitens gilt dasselbe auch für die neue italienische
Außenministerin, die ehemalige EU-Kommissarin Emma Bonino.
Drittens ist auch die Entscheidung, den Generaldirektor
der italienischen Notenbank, der Banca d’Italia, Fabrizio Saccomanni, zum neuen
Wirtschafts- und Finanzminister zu ernennen, schon aufgrund der engen Zusammen-arbeit
des Notenbankdirektoriums mit der EZB ganz klar als eine Weichenstellung zu
werten, die im Sinne einer Sicherstellung der Fortsetzung der bisherigen
europäischen Krisenpolitik zu interpretieren ist.
Das Problem dabei: Nur etwa zehn Prozent
der Wähler haben bei der Parlamentswahl in Italien für die Krisen-politik des Noch-Premiers
und ehemaligen EU-Wettbewerbskommissars Mario Monti gestimmt. Staatspräsident
Napolitano hat sich jetzt praktisch darüber hinweggesetzt und durchgesetzt, dass
dieser Kurs dennoch fortgesetzt wird und die Tatsache, dass er die nach seinen
Wünschen geformte Regierung als „einzig mögliche Regierung“ bezeichnet, ist de
facto nichts anderes als das, was die Staats- und Regierungschefs der Euro- Gruppe
bisher immer getan haben: die in allen europäischen Krisenstaaten bisher
durchgesetzte Austeritäts-politik für alternativlos zu erklären.
Ist das noch demokratisch? Diese Frage drängt sich auf. Gerade deswegen hat Napolitano die neue Regierung wohl auch schon vorab vor Journalisten verteidigt.
Es ist allerdings kaum anzunehmen, dass das viel helfen wird und schon gar nicht, dass damit das
Problem der Uneinigkeit der Parlamentarier in Italien überwunden worden ist. Eine Regierung, die den krisenpolitischen Kurs Italiens nahezu unverändert
fortsetzt, wäre definitiv nicht das, was die Mehrheit der italienischen Wähler mit
ihrem Votum entschieden hat.
Vor diesem Hintergrund steht die neue
italienische Regierung unter keinem guten Stern. Neue Proteste im Land und
neuer Streit im Parlament sind vorprogrammiert. Die Frage ist, wohin das führen
wird.
Italien schrammt bedrohlich nahe an
Weimarer Verhältnissen.
In der Weimarer Republik, die aufgrund der
hohen Reparationsforderungen mit einer erdrückenden Schuldenlast und einer sich
dramatisch verschärfenden Wirtschaftskrise zu kämpfen hatte, kam es Anfang der
30er Jahre aufgrund der Unfähigkeit der Parlamentarier, sich auf einen mehrheitlich
getragenen Krisenkurs zu verständigen, zu einer vom Reichspräsidenten Paul von
Hindenburg eingesetzten Präsidialregierung und einem Präsidial-kabinett, an
dessen Spitze er Heinrich von Brüning setzte. Das Präsidialkabinett konnte nur mit
Hilfe der besonderen Befugnisse des Reichspräsidenten regiueren, der Gesetzesentwürfe,
für die sich im Parlament keine Mehrheit fand, im Wege von Notverordnungen und
damit unter Umgehung des Parlaments in Kraft setzte.
Reichspräsident von Hindenburg sah sich zu
diesem Schritt gezwungen, weil Ende März 1930 die Große Koalition aufgrund von
Kompromissunfähigkeit zerbrochen war und alle demokratischen Parteien weiter
geschwächt aus bei der Reichstagswahl am 14. September 1930 hervorgingen,
während die NSDAP Adolf Hitlers einen erdrutschartigen Stimmengewinn verzeichnen
konnte (von 2,6 Prozent (Mai 1928) auf 18,3 Prozent). (3)
Heinrich von Brüning verfolgte einen
strikten austeritätspolitischen Kurs, der die Krise sukzessive weiter
ver-schärfte. Es gab Streiks, Aussperrungen und Massenproteste. Die
Arbeitslosigkeit stieg bis Anfang 1933 auf 30 Prozent.
Ende Mai 1932 traten Brüning und sein Präsidialkabinett
auf Druck von Hindenburg zurück. Ende Juli 1932 wurde gewählt und Hitlers NSDAP
erreichte 37,3 Prozent der Stimmen. Bei erneuten Wahlen Anfang November
1932 erhielt die NSDAP 33,1 Prozent und Ende Januar 1933 wurde Hitler von
Hindenburg mit der Führung eines Präsidialkabinetts beauftragt, dessen Arbeit
mit den Wahlen von Anfang März endete, bei denen die NSDAP mit
43,9 Prozent der Stimmen eine von der rechten Deutschnationalen
Volkspartei (DNVP) gestützte Regierung bilden konnte. (4)
Der Rest ist Geschichte. Italien schreibt
gerade seine eigene – im Namen Europas?
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