Mittwoch, 1. Mai 2013

Rezession statt Wachstum: Ist Europa bereit für eine Debatte über Alternativen zur Austeritätspolitik?



Nur damit kein Missverständnis aufkommt: Austeritätspolitik ist für diejenigen, die diese fordern und verfolgen, selbstverständlich darauf gerichtet, Wirtschaftswachstum zu erreichen. Geht man allerdings davon aus, dass die neoklassische und die klassische liberale Wirtschaftstheorie in der Finanzmarkt- und Weltwirtschaftskrise eklatante Schwächen offenbart und ihren begrenzten Orientierungswert für die Krisenbewältigung unter Beweis gestellt haben, dann fragt sich, wieso überhaupt irgendjemand an den Erfolg der Austeritätspolitik glauben konnte. Denn sie ist ein Konzept, das aus der liberalen Wirtschaftstheorie abgeleitet ist.
Eins ist klar: Ohne nachhaltige, kräftige Wirtschaftsbelebung geht nichts – auch und ganz besonders nicht im Hinblick auf die Sanierung von Staatsfinanzen.
Was in den europäischen Schuldenstaaten jedoch tatsächlich geschieht, ist exakt das Gegenteil. Die Austeri-tätspolitik drückt deren Volkswirtschaften immer tiefer in die Rezession. Dass dies in Irland bisher nicht so war, hat vor allem etwas damit zu tun, dass ausländische Konzerne das Niedrigsteuerland als Standort für ihre Zentralen nutzen, was mit Wirtschafts- und Exportbelebung nicht wirklich viel zu tun hat. (1) Außerdem ist die Arbeitslosigkeit nahezu unverändert hoch – aktuell liegt sie bei 14,1 Prozent, vor einem Jahr lag sie bei 15,0 Prozent und die Jugendarbeitslosigkeit beträgt dort 30,3 Prozent, nur 0,7 Prozentpunkte weniger als vor einem Jahr. (2) Dabei ist außerdem auch noch Folgendes zu berücksichtigen:
In Griechenland, mit eine Quote von 27,2 Prozent (Januar 2013) aktuell europäischer Spitzenreiter bei der Arbeits-losigkeit (3), war die Erwerbsbevölkerung (Beschäftigte + Arbeitslose (Labour Force)) im Jahr 2012 zahlenmäßig fast so groß wie im Jahr 2008 – sie verringerte sich um lediglich 0,3 Prozent. Die Zahl der nicht dem Arbeitsmarkt zur Verfügung Stehenden (Not in Labour Force) ist im gleichen Zeitraum sogar leicht gesunken ist (-0,91 Prozent). (4)
In Irland beträgt die Arbeitslosenquote aktuell zwar „nur“ 14,1 Prozent, aber zwischen 2008 und 2012 schrumpfte die Erwerbsbevölkerung dort auch um satte 5,2 Prozent und die Zahl der nicht dem Arbeitsmarkt zur Verfügung Stehenden schnellte um 10,4 Prozent in die Höhe. (5)
Der Rückgang der Erwerbsbevölkerung in Irland dürfte jeweils zur Hälfte auf Auswanderung von Arbeitskräften und den Ausstieg aus dem Arbeitsmarkt zurückzuführen sein. (6) Wäre das nicht so gewesen, würde Irland heute auch bei einer Arbeitslosenquote von um die 20 Prozent liegen.
Als empirischer Beleg für den Erfolg der Austeritätspolitik taugt deswegen auch Irland kaum.
Der austeritätspolitische europäische Krisenkurs lässt sich folglich weder wirtschaftstheoretisch noch empirisch, das heißt anhand der harten Fakten, rechtfertigen.
Bisher ist er uns jedoch von den europäischen Staats- und Regierungschefs, den Finanzministern der Euro- Gruppe, der Europäischen Kommission, der Europäischen Zentralbank (EZB) und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) einträchtig als richtig und alternativlos verkauft worden. Finanzhilfen bekommt nur, wer sich zum Schuldenabbau über austeritätspolitische Maßnahmen verpflichtet und dasselbe gilt für den Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB.
Das sagt sehr viel darüber aus, welche wirtschaftstheoretischen Überzeugungen hier immer noch vorherrschen. Die Frage, warum – trotz der gravierenden immanenten Fehler – daran festgehalten wird, führt insofern leicht zu dem Schluss, dass die europäische Krisenpolitik offensichtlich von einer Glaubensgemeinschaft gemacht wird.
Das ist ein starkes Stück.
Mittlerweile bekommen aber selbst einige Vertreter der Europäischen Kommission – sinnbildlich gesprochen – rote Ohren, wenn sie diese Krisenpolitik als erfolgreich und erfolgversprechend verkaufen müssen.
Anders ist es nicht zu verstehen, dass von dort und anderswo jetzt immer öfter öffentlich angemahnt wird, dass es mit dieser einseitigen Krisenpolitik nicht so weiter gehen kann, sondern verstärkt etwas für Wachstum und Beschäftigung getan werden müsse.
Fromme Worte. Wissen die Herren und Damen denn auch schon, wie sie das erreichen können?
Wohl kaum. Es sei denn, sie präferieren das Experiment einer neuen Runde keynesianischer Stimuli und erklären zugleich, woher die dafür erforderlichen Milliarden angesichts hoher Staatsschulden kommen sollen.
Die Wahrheit ist oft schmerzlich, auch in diesem Fall trifft das zu. Sie dürfte folgendermaßen aussehen: Die Möglichkeiten der Euro-Retter zur Krisenbewältigung sind heute genau dieselben wie 2008, als die Finanzmarkt- und Weltwirtschaftskrise über uns hereinbrach. Die Euro-Retter waren damals ratlos und sie sind es immer noch.
Was sie getan haben, war einzig und allein, sich für sehr, sehr viel Geld Zeit zu kaufen.
Für die Suche und den Entwurf geeigneter Lösungskonzepte ist diese Zeit nicht genutzt worden. Jetzt geht ihnen nicht nur das Geld aus, sondern auch die Geduld von mittlerweile – wie Proteste und Wahlresultate zeigen – zu vielen Europäern, auf den versprochenen Erfolg der bisher verfolgten Krisenpolitik zu warten, während die einen immer noch tiefere Einschnitte hinnehmen und sich die anderen immer noch größere Hypotheken für Rettungs-maßnahmen auf ihre Schultern laden lassen sollen.
Man kann es auch kürzer fassen: Die europäische Krisenpolitik war ein sehr teures Experiment und jetzt will niemand zugeben müssen, dass es gescheitert ist.
Um es kurz zu machen: Nein, Europa ist noch nicht bereit für eine Debatte über Alternativen zur Austeritäts-politik.
Diese Erfahrung wird auch der neue italienische Ministerpräsident Enrico Letta machen, der jetzt zwar sagt, er will eine andere Krisenpolitik – zumindest ein bisschen. Denn erstens ist die oben angesprochene Glaubens-gemeinschaft noch intakt und zweitens hat Letta dafür auch die falschen Leute in seinem Kabinett. Die wichtigsten, krisenrelevanten Posten in der neuen italienischen Regierung bekleiden treue Anhänger dieser Glaubensgemeinschaft. (7)
Was wird also geschehen: Die europäischen Krisenpolitik wird immer noch „ein bisschen“ teurer werden und immer noch „ein bisschen“ mehr scheitern.
Das gilt aber nur für den Fall, dass es weiterhin gelingt, Turbulenzen auslösende Ereignisse abzuwenden bzw. rechtzeitig zu entschärfen. Was andernfalls geschieht, möchte ich mir lieber nicht vorstellen.

1 Kommentar:

  1. Sehr interessant und gut geschrieben.

    Zum einen bin ich schon ein Freund davon, dass die Staaten ein wenig mehr auf ihre Ausgaben achten, da ich schon den Eindruck habe, dass dort oft mit dem Geld anders umgegangen wird, als wenn man es selbst verdient hätte.

    Zum anderen ist der Staat aber natürlich auch Motor der Industrie, da er einfach eine große Nachfrage hat.

    Meines Erachtens geht diese Diskussion aber an der Tatsache vorbei, warum uns das Geld ausgeht. Wenn wir überwiegend Produkte aus China auf Amazon kaufen, brauchen wir uns doch nicht wundern, wenn in Deutschland bzw Europa das Geld knapp wird.

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