Das Erfolgsmodell Chinas
Chinas wirtschaftlicher Erfolg, das starke
Wachstum der chinesischen Volkswirtschaft, beruhte bisher im Wesentlichen auf
den folgenden Zutaten:
- dem von Deng Xiaoping auf dem Dritten Plenum des 11. Zentralkomitees der Kommunistischen Partei 1978 vorgestellten und anschließend verfolgten wirtschaftspolitischen Kurs der „Reform und Öffnung“ Chinas, zentral kontrolliert und gesteuert durch eine starke Kommunistische Partei Chinas – politische Reformen und Demokratie lehnte er ab;
- der Nachahmung von wirtschaftlichen Konzepten, Strategien und Produkten;
- den extrem niedrigen Lohnkosten;
- der bedingungslosen Unterordnung des Sozialen und der Umwelt unter das Ziel des wirtschaftlichen Erfolges;
- die von den Parteikadern auf allen Ebenen im ganzen Land nicht zuletzt mit Blick auf die eigene Parteikarriere betriebenen umfangreichen Investitionen in Unternehmungen, Infrastruktur- und Bauprojekte;
- der starken Exportorientierung;
- der engen Verknüpfung von Partei und Wirtschaft, die sich insbesondere in der wirtschaftspolitischen Fokussierung und der zentralen volkswirtschaftlichen Bedeutung von Staatskonzernen und Staatsbanken manifestiert.
All diese Faktoren waren sehr wichtig für
den wirtschaftlichen Aufstieg Chinas. Entscheidend aber war etwas anderes,
nämlich
- dass Korruption und Vetternwirtschaft die Parteielite und das ganze Land durchzieht.
So wurde und wird bis heute
sichergestellt, dass der wirtschaftliche Erfolg Chinas der Parteielite bzw. deren
Familienclans zufließt. Genau das hat sie reich gemacht und es ist der Grund
für die enormen Vermögensunter-schiede, die weit auseinander klaffende Schere
zwischen Arm und Reich in China oder anders ausgedrückt: Ohne den Segen der
Partei wird in China niemand reich.
Und genau darin liegt die Crux der Krise
Chinas.
Denn Korruption und Vetternwirtschaft sind
im wahrsten Sinne des Wortes nichts anderes als der Kleb- und Schmierstoff, der
die quasi in Parteibesitz befindlichen „China AG“ zusammenhält und die
Wirtschaft und den Finanzsektor des Landes am Laufen hält, egal wie prekär die
Lage auch immer ist.
So viel zur Vorgeschichte.
Das Dritte Plenum und die Reformbeschlüsse
Am 12. November nun beendete das Zentralkomitee
sein hinter verschlossenen Türen abgehaltenes viertägiges Drittes Plenum. Die
376 einflussreichen Mitglieder dieses obersten Parteigremiums hatten einmal
mehr in der Geschichte der Partei über den künftigen Reformkurs Chinas zu
befinden. Präsident Xi Jinping hatte schon im Vorfeld angekündigt, eine
Blaupause für „umfassende“ Reformen zur Diskussion und Entscheidung zu stellen,
mit denen er die drängenden Probleme und Herausforderungen des Landes anpacken will,
insbesondere das des sich abschwächenden, exportlastigen Wirtschaftswachstums.
Das unmittelbar nach der Tagung
veröffentlichte Kommuniqué war bezüglich der Beschlüsse jedoch sehr vage
geblieben und hatte damit den zuvor von Xi Jinping und Mitgliedern des
siebenköpfigen Ständigen Ausschusses, dem obersten Lenkungsgremium der Partei, weltweit
geschürten Reformerwartungen einen Dämpfer versetzt.
Wenige Tage später wurden dann jedoch in
einem ausführlichen Abschlussdokument die vom Zentralkomitee beschlossenen
Maßnahmen vorgestellt – von der Lockerung der Ein-Kind-Politik, über die
Schließung der berüchtigten Arbeitslager, einer stärkeren Öffnung des
Bankensektors und der Wirtschaft für private Investoren, bis zu Schritten für
einen besseren Schutz des geistigen Eigentums und zur Abmilderung der
ungleichen Einkommensverteilung im Land. (1) Vor allem will die Parteiführung
dem Markt künftig eine entscheidende Rolle bei der Allokation der Ressourcen
einräumen, also „mehr Markt“ zulassen.
Passen die Beschlüsse zur politischen Realität in China
Gleichwohl tastete das Zentralkomitee die
führende Rolle der Staatskonzerne nicht an. Xi Jinping unterstrich zudem in
seiner Erklärung zu den beschlossenen Reformplänen, dass die Anerkennung der
entscheidenden Rolle des Marktes nicht bedeute, der Markt entscheide alleine.
Vielmehr sprach er von einer Aufgabenteilung zwischen Markt und Staat und
betonte damit die weiterhin wichtige Rolle des Staates in Bezug auf Chinas
Wirtschaft. (2)
Insgesamt soll die politische Führung in
Peking gestärkt werden, um mit Blick auf die Durchsetzung der Reformen, die
Fortsetzung des Kampfes gegen Korruption sowie die innen- und außenpolitischen
Herausforde-rungen effizienter agieren können.
International wurden diese Ankündigungen insgesamt
zunächst positiv bewertet. Inzwischen wächst jedoch die Skepsis. Dafür gibt es
mehrere gute Gründe.
- Angesichts des Zustands der Kommunistischen Partei Chinas, die in unterschiedliche Fraktionen gespalten und im Hinblick auf den künftigen Reformkurs tief zerstritten ist, sind die im Abschlussdokument dargelegten Beschlüsse und damit das Maß der darin zum Ausdruck kommenden Einigkeit eine große Überraschung – eine zu große Überraschung, um nicht Zweifel aufkommen zu lassen.
- Bedenkt man zudem, dass Korruption und Vetternwirtschaft der Kleber und Schmierstoff der „China AG“ sind und Macht und Wohlstand der Parteielite und der vielfältigen Seilschaften daran hängen, dann müssen ernste Bedenken aufkommen, ob die angekündigten Reformen wirklich ernst gemeint sind.
- Die Verwirklichung der angekündigten
Reformen steht zudem zu einem nicht unwesentlichen Teil schon seit längerem auf
der Agenda der Führung um Xi Jinping. Zum Beispiel die Eingrenzung der von
Partei-kadern in den Provinzen und Kommunen immer weiter forcierten
kreditfinanzierten Projekte, insbesondere auch Bauprojekte, die wirtschaftlich
nicht tragfähig sind oder unwirtschaftliche Sektoren der Wirtschaft,
insbesondere solche mit massiven Überkapazitäten, künstlich befeuern. Auch die
Förderung der Entstehung privater mittelständischer Banken ist nicht wirklich neu.
Dasselbe gilt für die Ankündigung der Schließung der berüchtigten Arbeitslager.
Zwar sollen inzwischen sogar tatsächlich einige geschlossen worden sein. Andere
wurden indes offenbar einfach nur umbenannt, während zugleich neue Strukturen
geschaffen werden, die demselben Zweck dienen. (3)
Die Erfolge solcher und anderer beschlossener Schritte und Maßnahmen halten sich in Grenzen, weil die Widerstände im System immens sind. Kurzum: In China ist die Umsetzung all dessen, was die Zentral-regierung in Peking beschließt, das allergrößte Problem auf dem Weg zu Reformen.
Wenn Xi Jinping und das Zentralkomitee der
Kommunistischen Partei, so wie es die Beschlüsse des Dritten Plenums
oberflächlich betrachtet suggerieren, tatsächlich eine umfassende Reform des
chinesischen Wirtschafts- und Finanzsektors hin zu einer offeneren, mehr
marktwirtschaftlichen Ordnung anstreben würden, dann bedeutete dies nichts
anderes als die Demontage des Fundaments, auf dem der bisherige wirtschaftliche
Erfolg Chinas und zugleich sowohl die Macht als auch der Wohlstand der
chinesischen Parteielite gründet.
Eine Reihe von Unverträglichkeiten
Es ist schwer vorstellbar, dass das ohne
schweren Bruch in der Entwicklung Chinas gelingen könnte. Mehr noch erscheint
es wahrhaft unglaublich, dass das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei
Chinas, in dem eben jene Elite vertreten ist, für die dieses System bisher so
einträglich arbeitete, die Demontage des Fundaments, auf dem ihr Erfolg, ihre
Macht und ihr Reichtum gründet, beschlossen haben soll.
Insofern ist es nüchtern betrachtet
wahrscheinlicher, dass die Beschlüsse in erster Linie eine Imagekampagne für
die Partei sind, die die tiefen, innerparteilichen Zerwürfnisse und Machtkämpfe
sowie die infolgedessen einge-tretene politische Lähmung Chinas übertünchen
soll. Hinter dieser Fassade wird sich an den eingeschliffenen Abläufen jedoch wenig
bis nichts ändern. Allzu viel Optimismus ist vor dem Hintergrund der
beschriebenen Lage jedenfalls nicht angebracht.
Angesichts des desolaten Zustands der
Partei und der wachsenden Widerstände und Proteste der chinesischen Bevölkerung
gegen deren Politik ist im Gegenteil davon auszugehen, dass die Sicherung der
Macht der Partei nach innen und außen von nun an viel stärker als alles andere
im Vordergrund ihres Treibens stehen wird.
Diese Situation ist von Experten durchaus
erwartet worden. So schrieb etwa das John L. Thornton China Center der
amerikanischen Denkfabrik Brookings in einer im Sommer 2010 veröffentlichten
Analyse mit Blick auf den knapp zweieinhalb Jahre später, im November 2012,
anstehenden großen politischen und militärischen Führungswechsel in China
Folgendes:
„Obwohl die Kontrolle der politischen Führung Chinas über das Militär in den letzten beiden Dekaden unangefochten war, könnten in den kommenden Jahren verschiedene Faktoren – eine möglicherweise ineffektive kollektive zivile Führung, zunehmende soziale Spannungen und öffentliche Proteste sowie Chinas große Machtambitionen in einem sich rasch verändernden globalen Umfeld – den Einfluss und die Macht des Militärs vergrößern.“
(Cheng Li, China´s Midterm Jockeying: Gearing Up for 2012 (Part 3: Military Leaders), S. 1 (Übersetzung SLE))
Die angesprochenen Faktoren sind in China
heute unbestreitbar gegeben und so drängend, dass das Zentral-komitee jetzt mit
entsprechenden Reformbeschlüssen darauf reagiert. Zwei Fragen leiten sich
daraus ab, die sich noch nicht eindeutig beantworten lassen:
- Ist die Zentralregierung in Peking stark genug, um die Reformpläne wirksam umzusetzen?
- Reichen die Reformpläne aus, um die vielfältigen, ernsten Probleme Chinas zu entschärfen?
Bezogen auf die Bewertung der
gegenwärtigen Situation innerhalb der Partei, der politischen Führung und die
verkündeten Reformen bietet zudem folgende Einschätzung, die im Rahmen
derselben Brookings-Analyse gegeben wurde, Stoff zum Nachdenken:
… „Obwohl Xi (Jinping) tatsächlich … Hu (Jintao) 2012 als Parteichef ablösen dürfte, wird er höchst wahrscheinlich als ein schwacher Führer ohne Charisma, solide Machtbasis oder bedeutende Erfolge angesehen werden.“
(Cheng Li, a.a.O., S. 3 (Übersetzung SLE))
In Berichten der westlichen Presse wurde
hingegen das jetzt beschlossene Reformpaket als Indiz dafür gewertet, wie
mächtig Xi Jinping inzwischen ist. Er wird als großer Gewinner des Dritten
Plenums gesehen und ihm wird zugetraut, so mächtig zu werden wie einst Deng
Xiaoping. Demnach müsste also Cheng Li, der Forschungs-direktor des John L.
Thornton Center bei Brookings, mit seiner Prognose in diesem Punkt voll daneben
gelegen haben. Unbestritten richtig ist indes, dass Xi Jinping in China vor
seiner Nominierung für das Amt des Staatspräsi-denten weitgehend unbekannt war
und keine eigene Fraktion in der Kommunistischen Partei hat, auf die er sich
stützen kann.
Wie auch immer man es dreht, Grund zum
Jubeln gibt es angesichts der angekündigten Reformen und der politischen
Situation in China so betrachtet nicht, nirgendwo – nicht in China, nicht im
Westen.
Wie diese Geschichte sich weiter
entwickelt, ist schwer einzuschätzen, verdient aber wegen des engen
Zusammenhangs von Politik, Wirtschaft und Banken in China sowie der Reichweite
der möglichen Auswirkungen große Aufmerksamkeit. Überraschende Wendungen sind nicht
auszuschließen. Sie können positiv sein oder negativ.
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