Vielleicht wollen viele Verantwortliche in
den Medien es nicht wahrhaben, aber die Art der Berichterstattung der
westlichen und russischen Medien über die Ereignisse in der Ukraine hat seit
den ersten Protesten gegen damaligen Präsidenten Janukowitsch einen nicht zu
unterschätzenden Einfluss auf den Verlauf der Entwicklung und damit an der
Zuspitzung der Krise gehabt.
Der Genfer Ukraine-Kompromiss
Nun ist gestern im Vierer-Gespräch der
Diplomaten aus der Ukraine, den USA, Russland und der Europäischen Union in
Genf ein ebenso unerwarteter wie erfreulicher Kompromiss gelungen, der erste
Schritte zur Deeskalation der Lage in der gesamten
Ukraine beinhaltet.
In der gemeinsamen Erklärung heißt es in
den ersten beiden Absätzen, alle Seiten müssen jegliche
Gewaltan-wendung, Einschüchterungen und Provokationen unterlassen, alle
Formen von Extremismus, Rassismus und religiöser Intoleranz, einschließlich
Antisemitismus werden aufs Schärfste verurteilt, alle illegalen bewaffneten
Gruppen müssen entwaffnet, alle illegal besetzen Gebäude müssen
ihren legitimen Eigentümern zurückgegeben und alle illegal besetzten
Straßen, Plätze oder anderen öffentlichen Flächen in den ukrainischen Städten
und Gemeinden müssen geräumt werden. (1) Des Weiteren heißt es im vierten
Absatz der Erklärung, der angekündigte Verfassungsprozess werde transparent
sein und niemanden ausgrenzen. Dazu gehöre ein sofortiger, breiter
nationaler Dialog, der alle ukrainischen Regionen und
politischen Körperschaften erreicht und Möglichkeiten zu öffentlichen
Kommentierungen und Verbesserungsvorschlägen eröffnet. (2)
Der Wortlaut der gemeinsamen Erklärung
macht folglich unmissverständlich klar, dass die Verantwortung für die
Umsetzung der vereinbarten ersten Schritte nicht
allein bei Russland liegt und dass sich die vereinbarten Schritte keineswegs allein auf die prorussischen
Separatisten in der Ostukraine beziehen. Die Schritte beziehen sich vielmehr eindeutig ebenso auf die bewaffneten und
gewaltbereiten rechtsradikalen Kräfte in der Ukraine oder allgemeiner
gesprochen auf die Vermeidung jeglicher Aggressionen seitens des Lagers der
proeuropäischen Kräfte in der Ukraine und in Kiew.
Was diese sehr begrüßenswerte Vereinbarung
leider nicht enthält und auch nicht enthalten konnte, ist eine
Selbstverpflichtung der westlichen und russischen Medien zur rhetorischen
Abrüstung in der Berichterstattung über die Ukraine.
Um es ganz deutlich zu sagen:
Die Medien haben durch eine oftmals und
vor allem wiederholt einseitige und wenig umsichtige Berichterstattung das
Misstrauen zwischen prorussischen und proeuropäischen Bürgern in der Ukraine
und zwischen Ost und West geschürt und damit zur Eskalation beigetragen.
Der Ukraine-Kompromiss in den Medien: Diplomatie versus Medien
In der Online-Ausgabe der Süddeutschen
Zeitung heißt es in einem Kommentar von heute beispielsweise:
„Der große Mangel an dem Plan ist, dass er keine Verantwortlichen benennt. Alles andere hätte Moskau nicht mitgetragen. Wer soll dafür sorgen, dass die Aufständischen ihre Waffen abgeben? Wer muss Konsequenzen fürchten, wenn sie es nicht tun? … Leider haben die vergangenen Wochen gezeigt, dass von allen Beteiligten, die in Genf am Tisch saßen, der Wille zu einer stabilen und souveränen Ukraine in Moskau am geringsten ist. Und dass Kiew allein die Kraft fehlt.“ (3)
In diesem Kommentar ist nur von der
Entwaffnung und dem Rückzug der prorussischen Separatisten in der Ostukraine
die Rede. Auf die vereinbarte Entwaffnung aller anderen militanten Kräfte und
den vereinbarten Stopp jeglicher Aggression gegen ethnische und religiöse
Minderheiten wird mit keinem Wort eingegangen. Wie einseitig der Kommentar ist,
zeigt auch, dass darin folgerichtig nur die Verantwortung Russlands für die
Entwaffnung und Aufgabe der Separatisten in der Ostukraine thematisiert wird,
während er die Übergangs-regierung in Kiew von dieser und damit implizit auch
von jeglicher Verantwortung für die Deeskalation der Lage in der Ukraine befreit.
Mehr noch wird das seit Wochen in den westlichen Medien transportierte Bild
einer kriegs- und expansionslüsternen russischen Regierung scheinbar weiter aufrechterhalten.
In diese Kerbe schlägt gleichfalls ein
Artikel zum Genfer Kompromiss in der Online-Ausgabe des SPIEGEL von heute. Auch
in diesem Artikel, der mit der Frage „Was taugt das Ergebnis der Diplomaten?“
eingeleitet wird, geht es allein um die Separatisten in der Ostukraine.
„Als ersten Schritt zur Deeskalation sollen die Maskierten in der Ostukraine die von ihnen besetzten Gebäude räumen und ihre Waffen abgeben. Auf diese Forderung haben sich in Genf die Ukraine, Russland, die USA und die EU geeinigt. Nur: Wer soll sie entwaffnen? Wer soll die Gebäude räumen? Freiwillig werden die Besetzer nicht weichen, so viel scheint klar.“ (4)
Der Verfasser des Artikels wertet den
Kompromiss von Genf aufgrund des Widerstands der Besetzer im Osten des Landes
dann auch als praktisch unrealisierbar:
„Der scheinbare Ausweg aus der Krise, der in Genf gefunden wurde - er ist keiner.“ (5)
Er erweckt damit den Eindruck, dass es in
der Genfer Erklärung allein um die Unruhen in der Ostukraine geht. Aus dieser
selektiven Sicht heraus bewertet er die Vereinbarung deswegen als unbrauchbar,
weil die Übergangs-regierung in Kiew für die Beruhigung der Lage in der
Ostukraine aus seiner Sicht zu schwach ist und es versäumt wurde, dafür eine Verantwortlichkeit
Russlands festzulegen.
Ein Positiv-Beispiel war auch das
Interview der ARD im Rahmen der Tagesthemen mit Bundesaußenminister Steinmeier
zum Kompromiss von Genf am gestrigen Abend nicht. (6) Die Aussagen eines
sichtbar zufriedenen und zuversichtlichen Bundesaußenministers kontrastierten
mit den Fragen der Sprecherin, die die Ernsthaftigkeit der Absichten Russlands konsequent
in Frage stellte. Während Steinmeier bemüht war, in seinen Antworten ein
nüchternes und objektives Bild vom Kompromiss und den Verantwortlichkeiten für
die Deeskalation in der Ukraine zu zeichnen, bediente die Sprecherin konsequent
das seit Wochen in den westlichen Medien geprägte Bild von der Rolle und den
Absichten Russlands im Ukraine-Konflikt.
Die Sprecherin leitete das Interview
(7) mit der Bemerkung ein, dass nun in Genf Deeskalierung vereinbart worden
sei, was sich ja erst einmal positiv anhöre. Ob er denn glaube, dass sich
Russland daran halte?
Steinmeier erwiderte, man sei noch nicht
am Ziel, aber es sei viel mehr erreicht worden als viele vorher für möglich
gehalten hätten. Die Diplomatie habe nun wieder eine Chance.
Daraufhin merkte die Sprecherin an, Putin
habe allerdings wenige Stunden vor dem Treffen gedroht, er könne sich
vorstellen in die Ukraine einzumarschieren und knüpfte daran die Frage, wie das
denn zusammenpasse?
Steinmeier antwortete, dass man noch nicht
am Ziel sei und es darauf ankäme, ob die Aktiven, diejenigen die für die
Politik verantwortlich sind in Russland, in der Ostukraine, sich an den
Verabredungen orientieren, ob die Versprechen eingehalten werden. Der
Kompromiss dürfe nun aber auch nicht kleingeredet werden. Dass jetzt sowohl von
der Ukraine als auch von Russland unterschrieben worden sei, dass zukünftig auf
Gewalt verzichtet werden soll, dass besetzte Gebäude geräumt werden sollen,
dass illegale Gruppen entwaffnet werden sollen und dass man jetzt gemeinsam an
einen Verfassungsprozess herangeht, das sei jedenfalls etwas, was die meisten
nicht erwartet hätten vor diesem Genfer Treffen. Insofern sage er, der Anfang
sei gemacht, ein wichtiger erster Schritt, aber dem müssten jetzt viele weitere
folgen.
Die Sprecherin knüpfte daran die Frage an,
ob denn diese Taten, die Steinmeier fordere, mit einem Präsidenten wie Putin
überhaupt möglich seien?
Steinmeier sagte, er könne sich nicht
vorstellen, dass der russische Außenminister nicht mit einem entspre-chenden
Mandat in die Gespräche gegangen sei und er deswegen erst einmal davon ausgehe,
dass das, was unterschrieben worden sei, auch im Wissen und Willen der
russischen Führung unterschrieben worden sei und es nun darauf ankäme, ob es
Signale gebe, dass dem Versprechen auf dem Papier auch Folge geleistet werde.
Das hieße, dass die Gewalt jetzt signifikant zurückgehen müsse und Normalität
in der ganzen Ukraine, auch in der Ostukraine, wieder einkehre.
Darauf die Sprecherin: Er habe doch sicher
schon einen Plan B. Aus den USA sei zu hören, dass schon über die nächste
Sanktionsstufe nachgedacht werde. Was denn seine nächste Stufe wäre?
Steinmeier antwortete, dass er zunächst
einmal mit ganzer Kraft daran arbeiten werde, dass die getroffenen
Vereinbarungen auch in die Tat umgesetzt würden. Es sei nicht so schwer darüber
nachzudenken, was passiere, wenn das alles platze. Natürlich werde es dann
weitere Debatten und Entscheidungen über Sanktionen geben. Aber es müsse daran
festgehalten werden, dass die Diplomatie eine Chance bekomme und die habe sie
heute gehabt und er finde, sie habe sie genutzt. Mit dieser Chance müsse jetzt
umgegangen werden, das meine er für uns im Westen, das meine er für Russland,
dass meine er aber vor allen Dingen für die streitenden Parteien in der Ukraine
selbst.
Damit endete das vierminütige Interview.
Wo liegen die Grenzen des Informationsauftrages der Medien in Krisenfällen?
Journalisten und Nachrichtensprecher
sollen und müssen kritische Fragen stellen. Das versteht sich von selbst. In
dem Interview wurde jedoch das Vermögen Steinmeiers zur richtigen Einschätzung
und Bewertung der politischen Akteure und des ausgehandelten Kompromisses
infrage gestellt und zwar durch Gegenüberstellung des in den letzten Wochen in
den westlichen Medien geprägten Bildes vom Ukraine-Russland-Konflikt. Können
die Medien irren? Oder irrt sich nicht viel mehr der Bundesaußenminister? Das
war die unausgesprochene, unterschwellig Botschaft des Interviews an die
Fernsehzuschauer.
Es ist genau diese Form der Anmaßung, die den
Einfluss und die Mitverantwortung der Medien für die Entwicklung der
Ukraine-Krise begründet. Die Medien erheben sich zur obersten und
entscheidenden Instanz auch in äußerst sensiblen Angelegenheiten, um vorgeblich
ihrem Informationsauftrag nachzukommen, ohne Verantwortung dafür zu übernehmen
zu müssen, wenn sie dabei weit über das Ziel hinausschießen und nicht wieder
gutzumachenden Schaden anrichten.
In Deutschland gab es nach dem Geiseldrama
von Gladbeck im Sommer 1988, bei dem Journalisten den Geisel-nehmern eine
Plattform zur Selbstdarstellung boten und sogar selbst mit ihnen verhandelten,
eine kontroverse Debatte über die Rolle von Journalisten bei Geiselnahmen bzw.
über die Grenzen des Informationsauftrages der Medien. Der Deutsche Presserat
kam damals zu dem Schluss, dass Geiselnehmer während einer Geiselnahme nicht
interviewt werden sollten und eigenmächtige Vermittlungsversuche nicht zu den
Aufgaben von Journalisten gehören. Der Pressekodex wurde entsprechend
erweitert. (8)
Konzentration in der Medienbranche: Marktmacht macht´s möglich
Im vorliegenden Fall der Ukraine-Krise geht
es um viele Menschenleben und letztlich um Krieg oder Frieden. Die "Geisel" ist pointiert ausgedrückt die Ukraine - eine Geisel der Medien. Eine
Auseinandersetzung mit der Frage, wie weit die Medien in der Berichterstattung
über diese Krise und alle damit zusammenhängenden Fragen gehen dürfen und vor
allem, ob und inwieweit sie sich dadurch nicht bereits aktiv und auf schädliche
Weise einmischen, findet jedoch nicht statt. Die Tatsache, dass die Medien
neben ihrem Informationsauftrag ganz andere und mithin der Diplomatie
entgegenstehende Interessen verfolgen, zum Beispiel Profit, wird nicht reflektiert.
Dass die Medien in der Berichterstattung überhaupt
so weit gehen können wie oben exemplarisch verdeutlicht, ist nur deswegen
möglich, weil die Medienbranche von vergleichsweise wenigen, sehr großen
Akteuren dominiert wird. Genau aus diesem Grund ist eine Diskussion über die
Grenzen in der Berichterstattung in Krisensituationen heute wichtiger denn je.
Die Medien sind mitverantwortlich
Der Genfer Kompromiss zur Ukraine-Krise schließt
die rhetorische Abrüstung und Selbstbeschränkung der Medien nicht ein. Sie muss
separat verhandelt und vereinbart werden – von den Medien selbst. Es geht dabei
nicht um Einschränkung der objektiven Berichterstattung und Information,
sondern um die Frage, wie weit die vorhandene Macht für Auflagen und
Einschaltquoten ausgeschöpft werden darf ohne die diplomatischen Bemühungen Friedensbemühungen
in der Ukraine zu behindern oder im schlimmsten Fall zu konterkarieren. Die
Tatsache, dass sich so viele Menschen im Westen von den Medien zum
Ukraine-Russland-Konflikt nicht objektive informiert fühlen, sollte von den Verantwortlichen
in Presse und Medien als Alarmsignal gewertet werden.
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