In der Ostukraine bringen sich die
Menschen gegenseitig um. Wer jetzt, nachdem sich auch in Odessa zügellose
Gewalt Bahn gebrochen hat, glaubt, die Bevölkerungsgruppen in der Ukraine seien
noch miteinander zu versöhnen und das Land als Ganzes zu erhalten, der
verschließt die Augen vor der Wirklichkeit: Die Ukraine ist auf dem besten Weg,
in einen Bürgerkrieg abzugleiten.
Und während in der Ukraine immer mehr
Menschen in Folge der sich im Süden und Osten des Landes ausbreitenden
gewaltsamen Auseinandersetzungen sterben, versichern sich Präsident Obama und
Bundes-kanzlerin Merkel ihre enge Freundschaft und demonstrieren engen
Schulterschlusses in ihrer Haltung gegenüber der russischen Regierung, die sie
für nahezu alles, was in der Ukraine geschieht, verantwortlich machen und
verurteilen. Diesen Eindruck hinterließ der gemeinsame Auftritt von Angela Merkel
und Barack Obama vor der Presse im Rahmen ihres Treffens im Weißen Haus.
Was hat Angela Merkels Reise nach
Washington Deutschland, Europa und der Ukraine gebracht? Die Antwort ist:
Nichts.
- In vorauseilendem Gehorsam hatte die Bundesregierung bereits kurz vor Merkels Reise eine Befragung von Edward Snowden durch den NSA-Untersuchungsausschuss in Deutschland abgelehnt – offensichtlich, um die US-Regierung nicht zu verstimmen.
- Die Bundeskanzlerin machte in Washington zudem brav Werbung für das geplante, aber in Europa höchst umstrittene Transatlantische Freihandelsabkommen (Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP)) mit den USA.
- Darüber hinaus stellte sie sich im Ukraine-Konflikt demonstrativ auf die Seite der US-Regierung, das heißt sie verzichtete in Washington praktisch völlig darauf, eine eigenständige deutsche oder gar europäische Position geltend zu machen, obwohl Bewertungen und vor allem auch die Interessenlagen de facto keineswegs identisch sind.
Anders ausgedrückt hat Bundeskanzlerin
Angela Merkel alles getan, um von Präsident Obama freundlichst empfangen und
mit viel Lob bedacht zu werden. Das hat sie erreicht. Dass dieser sie dann im
Rosengarten überschwänglich bekannte als eine seiner engsten Freundinnen auf
der Welt bezeichnete, ist vor diesem Hintergrund gut verständlich, auch wenn
ihr selbst diese Form der Ehrung sichtbar nicht behagte. (1)
Es wird jedoch noch viel besser
verständlich, wenn man bedenkt, dass die USA in letzter Zeit zunehmend mehr
Schwierigkeiten haben, ihre Politik international durchzusetzen, wie im
Folgenden kurz dargelegt werden soll.
Die USA verlieren außenpolitisch an Einfluss
Es begann vielleicht damit, dass sich die
USA im Streit mit Russland um das Vorgehen der G8-Staaten vor dem Hintergrund
des Giftgaseinsatzes in Syrien mit ihrer Position nicht durchsetzen konnten. Auch
im Atomkonflikt mit dem Iran mussten die USA zum Schluss einlenken. Zudem sind
jetzt auch die vom US-Außenminister initiierten Nahost-Friedensgespräche
zwischen Israel und den Palästinensern, mit deren erfolgreichen Abschluss sich
John Kerry gerne ein politisches Denkmal setzen würde, gescheitert – auch wenn Kerry
nun von einer Gesprächspause spricht. Israel und die Palästinenser haben Kerry
vor die Wand laufen lassen.
Mehr noch reagiert auch China zunehmend
gereizt auf die US-Außen- und Verteidigungspolitik im asiatisch pazifischen
Raum und wirft ebenso wie Russland der US-Regierung vor, mit doppelten
Standards zu arbeiten und die nationalen und Sicherheits-Interessen anderer
Staaten konsequent zu missachten. (2) Gerade aus diesem Grund werden in China
sowie insbesondere von Chinas Militärs das Vorgehen der USA in der Ukraine-Krise
und deren Politik gegenüber Russland sehr genau beobachtet. Viele in China, die
eine kritische Haltung zu einer weiteren Öffnung und Zusammenarbeit Chinas mit
den USA einnehmen, fühlen sich durch das Auftreten der USA im Ukraine-Konflikt
bestätigt. Es werden Vergleiche gezogen zum Verhalten der USA im Streit um die Senkaku-Inseln
zwischen Japan und China. Der US-Verteidigungsminister Chuck Hagel löste unter
anderem gerade deswegen bei seinem Besuch in China Anfang April schwere
Verstimmungen bei den chinesischen Militärs aus (3) (4), die die von
Staatspräsident Xi Jinping angestrebte engere wirtschaftliche und militärische
Zusammenarbeit zwischen den USA und China schwer zurückwerfen könnten.
Erneut verärgert reagierte Chinas
Außenministerium auch auf kritische Äußerungen der USA zur Zusammenarbeit
Chinas beim Kampf gegen den Terror und im Zusammenhang mit dem jüngsten Anschlag
in Uruqui, der Hauptstadt der Provinz Xinjiang, der mehrere Tote und zahlreiche
Verletzte gefordert hatte. Unverblümt erklärte das chinesische
Außenministerium, die USA würden die Kooperation im Kampf gegen den Terror mit
ihrer Doppelmoral und mit unverantwortlichen Anmerkungen zu Angelegenheiten
anderer Länder sicher nicht fördern. (5)
Die USA stoßen handelspolitisch auf Widerstände
Auch bei ihren Bemühungen um
Handelsabkommen kommt die Obama-Administration nicht voran. Gerade erst hatte
sich der US-Präsident auf seiner Vier-Länder-Asien-Reise in Japan, Malaysia und
den Philippinen unter anderem um Fortschritte beim geplanten Transpazifischen
Freihandelsabkommen (Trans Pacific Partnership (TPP)) bemüht. Vergeblich. Vor
allem beim wichtigsten Verhandlungspartner Japan kamen die Amerikaner nicht
weiter. (6) Auch in einer Reihe anderer Länder gibt es nach wie vor ernste
Vorbehalte sowohl in der Bevölkerung als auch in der Politik, ihre Märkte für
die amerikanischen Unternehmen in der von den USA gewünschten Weise zu öffnen. Die
Sorge dieser Länder ist, dass sie von amerikanischen Produkten überflutet
werden – zum Nachteil der eigenen Wirtschaft. (7)
Eigentlich war geplant gewesen, das
Transpazifische Freihandelsabkommen Ende vergangenen Jahres unter Dach und Fach
bringen. Bedingt durch die zähen Verhandlungen vor allem mit Japan, aber auch
wegen der US-Wahlen im November äußern nunmehr aber auch US-Senatoren Sorge
bezüglich der Aussichten für das Abkommen. Ob es noch in diesem Jahr dazu
kommt, ist zumindest sehr fraglich geworden. (8)
Für die strategischen Pläne der US-Regierung
ist das ein besonders harter Rückschlag. Zwar wurden die Verhandlungen über ein
solches Freihandelsabkommen ursprünglich 2005 von Chile, Singapur und
Neuseeland initiiert. Doch die erst später hinzugekommenen USA haben dieses
Abkommen zu ihrer Sache gemacht und dominieren die Gespräche. Der Grund dafür
ist die strategische Neuausrichtung der USA, die der nicht zuletzt unter dem
Eindruck der Euro-Krise gewonnenen Einschätzung der US-Regierung Rechnung
trägt, dass die Zukunft nicht in Europa, sondern im asiatisch-pazifischen Raum liegt.
Präsident Obama hatte vor dem 19. Gipfel-treffen der Südostasiatischen
Staatengemeinschaft (ASEAN) im Herbst 2011 verkündet, dass sich die USA künftig
strategisch auf den pazifischen Raum konzentrieren und ihren militärischen und
wirtschaftlichen Einfluss in dieser boomenden Region ausbauen wollten. (9) Von
vielen war das im Umkehrschluss als eine Entscheidung der USA zur Abkehr von
der Europäischen Union interpretiert worden.
Inzwischen bemühen sich die USA jedoch
auch um ein Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union (TTIP), was allein
schon ein großes Fragezeichen hinter die tatsächlichen Erfolgsaussichten der
strategischen Neuausrichtung der Washingtoner Politik auf den asiatisch-pazifischen
Raum setzt. Jetzt treffen sie bei den Verhandlungen über das TTIP noch dazu in
Europa immer stärker auf dieselben Sorgen, Vorbehalte und Hemmnisse wie im
pazifischen Raum beim TPP.
Der über internationale Institutionen ausgeübte Einfluss der USA schwindet
„Partnerschaft“, “Kooperation” oder
“Zusammenarbeit” bedeutet für die USA stets die Bereitschaft anderer, sich von
den USA nach deren alleiniger Maßgabe dominieren zu lassen. Selbst wenn das
eine nicht völlig korrekte Zuspitzung ist, so zeigen die exemplarisch
angesprochen Schwierigkeiten, auf die die US-Politik weltweit in letzter Zeit
verstärkt stößt, dass dies der Wahrnehmung vieler entspricht und vor allem auch
immer stärker entsprechende Gegenreaktionen auslöst. Durch das Auftreten und
Agieren der US-Regierung in der Ukraine-Krise fühlen sich viele in dieser
Einschätzung bestätigt, nicht nur Russland, sondern vor allem auch China.
In dieses Bild fügt sich unter anderem ebenso
nahtlos ein, dass die USA die bereits 2010 beschlossene Reform des
Internationalen Währungsfonds (IWF) als einziges Land noch immer nicht ratifiziert
haben und damit blockieren. Diese Reform sieht vor allem mehr Mitspracherecht
für die Schwellenländer sprich für die sogenannten BRICS-Staaten – Brasilien,
Russland, Indien, China und Südafrika – vor, entsprechend ihrer größer
gewordenen wirtschaftlichen Bedeutung. Ob und wann es dazu kommt, ist gegenwärtig
völlig unklar. Die USA mauern. Die G20-Staaten haben deswegen die USA beim ihrem
letzten Treffen in Sydney im April in der gemeinsamen Abschlusserklärung die
USA ultimativ dazu aufgefordert, die Reform so rasch wie möglich, jedoch
spätestens bis Ende 2014 zu ratifizieren. Andernfalls würden andere Optionen
geprüft. (10)
Die BRICS-Staaten haben deswegen ihre
Anstrengungen forciert, entsprechende eigene Institutionen mit vergleichbaren
Funktionen aufzubauen. (11) Damit zeichnet sich so oder so ab, dass der
Einfluss, den die USA über die sogenannten Bretton-Woods-Institutionen IWF und
Weltbank bisher weltweit ausgeübt haben, zurückgehen wird. (12) (13) (14)
Der Besuch der Kanzlerin war für Obama ein Geschenk
Vor diesem Hintergrund betrachtet ist die Ukraine-Politik
der USA vor allem der Versuch, das weltweite Schwinden ihres Einflusses
aufzuhalten. Der Ukraine-Konflikt hat für die US-Regierung nicht nur eine große
strategische, sondern auch eine hohe symbolische Bedeutung. Präsident Obama
dürfte gerade deswegen froh gewesen sein über den Besuch der Bundeskanzlerin –
ganz besonders weil sie keinen Versuch unternahm, den Begriff „Partnerschaft“ im
Verhältnis zu den USA neu zu definieren. Dass es gerade der Ukraine-Konflikt
war, bei dem große Einigkeit und „Partnerschaft“ demonstriert wurde, ist
tragisch für die Menschen in der Ukraine, weil dies zwar der US-Regierung
hilft, ihnen aber nicht.
Und so ist der US-Besuch der
Bundeskanzlerin ganz sicher nicht als ein Erfolg anzusehen. Sie hat damit in
erster Linie Präsident Obama einen großen Dienst erwiesen. Ihr Besuch wirkte in
der Außenwahrnehmung wie ein Spiegel der von der US-Regierung noch immer reklamierten,
aber in dieser Form realistisch betrachtet längst nicht mehr vorhandenen globalen
Macht. Obama war diese Form der Bestätigung gerade jetzt höchst willkommen. Frau
Merkel hat sie geliefert.
Vor allem aber hat sie die Chance vertan,
unmissverständlich zum Ausdruck zu bringen, dass Deutschland und die
Europäische Union originär eigene politische Interessen verfolgen und weltweit vertreten
und sich weder den politischen Interessen der USA unterordnen noch sich auf die
Seite Russlands ziehen lassen. Gerade auch in Bezug auf den Ukraine-Konflikt
wäre dies wichtig gewesen. Es ist als eine notdürftiger Reparaturversuch anzusehen,
dass Bundesaußenminister Steinmeier und Bundesverteidigungsministerin von der Leyen
vor der Presse jetzt den besonderen Anteil Russlands an der Freilassung der in
Slawjansk festgesetzten deutschen Militärbeobachter betonten. (15)
Kanzlerin Merkel sprach im Rosengarten des
Weißen Hauses ebenso wie Präsident Obama von Freundschaft. Echte Freunde aber müssen
in der Sache streiten können, wenn es unterschiedliche Bewertungen,
Auffassungen und Interessen gibt. Es gibt sie. Das ist gerade auch mit Blick
auf die Ukraine und Russland vollkommen klar. Doch Angela Merkel kann nicht
streiten – jedenfalls nicht mit dem US-Präsidenten. Das hat ihr Besuch in Washington
gezeigt.
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