Abgesehen von Pegida wird in Deutschland
gegenwärtig nichts so intensiv diskutiert wie die Frage, ob Griechenland aus
dem Euro wird ausscheiden müssen, falls die linksgerichtete Syriza die
anstehenden Neuwahlen am 25. Januar gewinnt und ihr Versprechen wahr macht, den
austeritätspolitischen Kurs zu beenden.
Ausgelöst hat diese Debatte ein Artikel
des „Spiegel“, laut dem Angela Merkel und Wolfgang Schäuble sich angeblich
einig sind, dass es für Griechenland keine Alternative zum
austeritätspolitischen Kurs gibt und eine Abkehr davon nahezu unausweichlich
zum Ausscheiden des Landes aus dem Euro (kurz: Grexit) führen werde. Einen
Austritt halten sie demnach für die Währungsunion inzwischen für verkraftbar.
(1)
Zwar hat der Spiegel niemanden namentlich
zitiert und die Bundesregierung dementierte, in der Griechenlandfrage einen
Kurswechsel vollzogen zu haben. Die Debatte in Deutschland hat das jedoch nicht
mehr stoppen können und möglicherweise war das auch die Intention der anonymen Weitergabe
entsprechender Informationen aus dem Regierungsviertel an den Spiegel.
Es ist müßig, sich damit weiter
auseinanderzusetzen. Viel interessanter ist die einfache Frage, wie effektiv
das austeritätspolitische Sanierungskonzept der Euro-Retter bzw. der Troika
(EU-Kommission, EZB, Internationaler Währungsfonds) bisher überhaupt gewesen
ist.
Zwei zentrale Annahmen sind mit diesem
Konzept verknüpft, nämlich erstens, dass es zur Bewältigung der
Staatsschuldenkrise beiträgt und zweitens
die Wirtschaft der Krisenstaaten – nach Durchschreitung eines Tals der Tränen –
wieder auf einen soliden Wachstumskurs bringt.
Es ist im Grunde erstaunlich, dass in der
Debatte über den Grexit und die angebliche Alternativlosigkeit der
Austeritätspolitik kaum je von den Fakten die Rede ist, die diese beiden
Annahmen wirklich untermauern können. Im Folgenden soll das einmal für die
sogenannten PIIGS-Staaten (Portugal. Irland, Italien, Griechenland und Spanien)
nachgeholt werden.
Austeritätspolitik und die Entwicklung der Staatsschulden und der Wirtschaftsleistung in den PIIGS-Staaten
Für Griechenland
ergibt sich für die Entwicklung der Staatsverschuldung und der Wirtschaftsleistung
(Brutto-inlandsprodukt (BIP) zu Marktpreisen) gemäß Angaben von Eurostat
folgendes Bild (Abbildung 1):
Abbildung 1: Zum Vergrößern bitte Abbildung anklicken!
Griechenland ist bis 2008 kontinuierlich
gewachsen. 2006 und 2007 – für den verwendeten Datensatz liegen Eurostat-Daten
erst ab 2006 vor – waren die Staatsschulden zwar bereits etwas höher als die
Wirtschaftsleistung. Sie stiegen danach allerdings drastisch an. Die Finanzmarktkrise
begann 2008, die Griechenlandkrise Ende 2009 und die austeritätspolitische
Sanierung im Frühjahr 2010. Ein deutlicher Rückgang der Staatsschulden ergab
sich erst 2012 – durch den Schuldenschnitt. Doch danach stiegen sie wieder an.
Mit der Wirtschaftsleistung (BIP) Griechenlands
ging es indes seit 2008 steil bergab. Sie lag Ende 2013 rund 25 Prozent unter
dem Niveau von 2008 und rund 20 Prozent unter dem Wert für 2010. Dadurch
bedingt hat sich die Schere zwischen Staatsschulden und Wirtschaftsleistung
weit geöffnet.
Insgesamt ist das Bild, das sich aus den
Daten für 1998-2013 für Griechenland ergibt, nicht nur beklemmend, sondern es lässt
auch die Erfolgsstory vermissen, die das austeritätspolitische
Sanierungskonzept angeblich liefern soll.
Für Irland,
dass laut Spiegel-Bericht (2) in den Augen der Bundesregierung ebenso wie Portugal
als „saniert“ gilt, ergeben sich insgesamt zwar bessere Werte als für Griechenland.
Aber von echter Sanierung kann auch in diesem Fall keine Rede sein, wie Abbildung 2 verdeutlicht.
Abbildung 2: Zum Vergrößern bitte Abbildung anklicken!
Insgesamt ergibt sich für Irland bis
2007/2008 eine sehr ähnliche Entwicklung wie im Fall Griechenland. Irland ist
allerdings stark von der Immobilienkrise betroffen gewesen und deswegen begann
die Talfahrt der Wirtschafts-leistung dort schon 2007.
2010 war der Wirtschaftseinbruch gestoppt.
Seitdem gibt es eine leichte, kontinuierliche Erholung, die sich jedoch abgeflacht
hat. Unabhängig davon lag das Bruttoinlandsprodukt Ende 2013 noch immer weit
unter dem Vorkrisenniveau, wie die grün gestrichelte Linie zeigt und zwar gut
11 Prozent.
Zwar hat sich auch in Irland das
Staatsschuldenwachstum in den Jahren 2012 und 2013 verlangsamt. Das ändert aber
nichts daran, dass der Schuldenanstieg ab 2008 ungebrochen ist. Und ebenso wie
in Griechenland öffnet sich in Irland (seit 2011) die Schere zwischen
Wirtschaftsleistung und Staatverschuldung zunehmend.
Dass Irland als saniert gilt, bestätigen
die Fakten folglich keineswegs. Für das Sanierungskonzept spricht das nicht und
zur selben Einschätzung gelangt man beim Blick auf die Entwicklung in Portugal, die in Abbildung 3 veranschaulicht ist.
Abbildung 3: Zum Vergrößern bitte Abbildung anklicken!
Laut Spiegel-Bericht gilt für die
Bundesregierung auch Portugal als saniert. Tatsächlich ging es jedoch in diesem
Euro-Land unter dem austeritätspolitischen Regime mit der Wirtschaftsleistung ebenfalls
bergab, wenn auch deutlich weniger stark als in Griechenland. Der Anstieg der portugiesischen
Staatsschulden ist indes ungebrochen und wie in Irland übersteigen sie die
Wirtschaftsleistung ab 2011 in zunehmendem Maße.
Spanien
stand im Unterschied zu den vorgenannten Euro-Ländern nicht unter dem
Troika-Diktat, verfolgt jedoch in Eigenregie einen austeritätspolitischen Kurs.
Die bisherige Bilanz der Sanierungspolitik fällt ebenfalls nicht gut aus, wie
beim Blick auf die Abbildung 4
auffällt.
Abbildung 4: Zum Vergrößern bitte Abbildung anklicken!
Von 2008 bis 2013 ist die
Wirtschaftsleistung Spaniens zurückgegangen und die Staatsverschuldung
kontinu-ierlich und stark angestiegen. Sollte dieser Trend anhalten, werden die
spanischen Staatsschulden bald höher sein als das Bruttoinlandsprodukt.
Damit ergibt sich in Spanien unter dem
austeritätspolitischen Regime derselbe Trend wie in den drei anderen
Euro-Staaten. Und auch Italien
stellt keine Abweichung von dieser Regel dar (siehe Abbildung 5).
Abbildung 5: Zum Vergrößern bitte Abbildung anklicken!
Im Unterschied zu allen zuvor genannten
Euro-Staaten hatte Italien nicht erst seit 2008 ein Schuldenproblem, sondern
schon in den Jahren zuvor. Seit 2008 übersteigen die Staatsschulden die
Wirtschaftsleistung Italiens in zunehmendem Maße. Die Wirtschaftsleistung stagniert
seither bestenfalls. Genau genommen lag sie nur in einem einzigen Jahr (2011)
knapp über dem Wert von 2008. Vor allem aber geht sie seit 2011 langsam zurück.
Zweifellos hat Italien erst sehr spät mit
dem Sparen und den Reformen angefangen. Doch was immer bis Ende 2013 geschehen
ist, in Bezug auf die Staatsschulden und die Wirtschaft kann nicht von einer
positiven Entwicklung gesprochen werden.
Der nächste Euro-Wackelkandidat: Frankreich
Zum Vergleich soll abschließend noch ein
Blick auf die Entwicklung in Frankreich
geworfen werden. Zwar will Frankreich das Problem der Staatsverschuldung
angehen, aber 2013 war das jedenfalls noch nicht der Fall.
Abbildung 6: Zum Vergrößern bitte Abbildung anklicken!
Klar zu erkennen ist in der Abbildung 6, dass Frankreichs
Wirtschaftsleistung bis Ende 2013 immer noch gestiegen ist, sich das Wachstum zuletzt
aber verlangsamt hat. Die Staatsschulden sind indes kontinuierlich gestiegen
und erreichen inzwischen fast das Niveau der Wirtschaftsleistung des Landes.
Vor dem Hintergrund der Entwicklung in den
PIIGS-Staaten erscheint fraglich, ob ein austeritätspolitischer Kurs dieses
Problem lösen kann. Genau deswegen gibt es Streit in der sozialistischen Partei
des Präsidenten Hollande, der nach wie vor keinen eindeutigen und vor allem
überzeugenden Kurs vorzugeben vermag.
Ist die Austeritätspolitik die Lösung?
Die Entwicklung der Staatsverschuldung und
der Wirtschaftsleistung in den PIIGS-Staaten spricht nicht für das
austeritätspolitische Sanierungskonzept. Die Entwicklung weist in allen
untersuchten Ländern dieselben zentralen Tendenzen auf: Die Wirtschaft wird
dadurch geschwächt, die Staatsschulden steigen weiter und klettern früher oder
später über das Niveau der Wirtschaftsleistung.
In Griechenland, Portugal und Irland, aber
auch in Italien ist letzteres eingetreten. In Spanien, das später als die
genannten Länder in den Sog der Schuldenkrise geriet, läuft die Entwicklung in
dieselbe Richtung, in Frankreich auch. In Italien, das schon lange vor der
Finanzmarktkrise ein Schuldenproblem hatte, ist die Schere zwischen
Staatsschulden und Wirtschaftsleistung inzwischen weit geöffnet.
Vor diesem Hintergrund erscheint die
Behauptung der Bundesregierung, der Sparkurs in Griechenland trage Früchte und
sei alternativlos, das heißt im Klartext, der einzig erfolgversprechende Weg, kaum
haltbar. Im Gegenteil deutet die oben dargelegte Entwicklung darauf hin, dass
es in Europa an der Zeit ist, in eine breite Debatte über erfolgversprechendere
Alternativkonzepte einzutreten.
Griechenland vor die Wahl „Austeritätspolitik
oder Grexit“ zu stellen, führt Europa lediglich noch tiefer in eine
offensichtlich wirtschaftsideologisch bedingte Sackgasse – mit fatalen
Wirkungen für Wirtschaft und Staats-finanzen in der Euro-Zone.
Das ist ganz gewiss ein Grund für die griechischen Wähler, sich davon bei der
Abgabe ihrer Stimme am 25. Januar nicht beirren zu lassen. Denn was nützt es,
wie es auch die EZB fordert, den Kurs der Einsparungen und Einschnitte immer
weiter fortzusetzen, wenn die Staatsschulden trotzdem weiter steigen?
So betrachtet ist es natürlich absolut
kein Wunder, dass sich der Euro im Sinkflug befindet. Die Euro-Zone hat ihre
Probleme nicht im Griff. Sie ignoriert sie sogar. Welchen Investor kann das
ermutigen?
Anmerkung
SLE: Ein Übertragungsfehler bei der Dateneingabe hat in der ersten Version des Aufsatzes zu einer fehlerhaften
Darstellung in der Abbildung zur Wirtschaftsleistung und den Staatsschulden
Griechenlands geführt. Dieser Fehler wurde korrigiert.
Der Blog bringt wirklich sehr viel, danke für den Aufwand, das alles zu publizieren!
AntwortenLöschenLiebe Grüße.