Montag, 14. März 2016

Reaktion auf AfD-Erfolg: Das politische Establishment auf Konfrontationskurs mit den Wählern



Im Vorwahlkampf in den USA sieht man gegenwärtig sehr deutlich, was überall auf der Welt passiert: Kandidaten, die dem politischen Establishment den Kampf ansagen, erweisen sich als unerwartet erfolgreich. Das gilt nicht nur für den umstrittenen Republikaner Donald Trump, der die Debatte in den US-Medien beherrscht, sondern auch für den Demokraten Bernie Sanders.

Quittung für Dauerkrise, Klientelpolitik und Ignoranz

Die USA sind kein Einzelfall. Im Zuge der Euro-Krise und der umstrittenen Versuche, mit Hilfe von Austeritätspolitik Staatsfinanzen und Volkswirtschaften wieder auf eine solide Grundlage zu stellen, sind in vielen europäischen Mitgliedstaaten markante Persönlichkeiten an der Spitze zuvor unbekannter oder unbedeutender Parteien in der Wählergunst signifikant gestiegen. Das gilt etwa für Alexis Tsipras in Griechenland und seine Linkspartei „SYRIZA“, für den Komiker Beppe Grillo in Italien mit seiner „5-Sterne-Bewegung“, für Nigel Farage und die „United Kingdom Independence Party“ (Ukip) in Großbritannien sowie unter anderem auch für die Linkspartei „Podemos“ mit ihrem Frontmann Pablo Iglesias in Spanien und, nicht zu vergessen, für den rechtsextremen „Front National“ (FN) von Marine Le Pen in Frankreich.
Die gestrigen Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt haben unbestreitbar gezeigt, dass auch in Deutschland eine Anti-Establishment-Partei entstanden ist und im Zuge der umstrittenen Flüchtlingspolitik der Bundesregierung massiv an Zustimmung gewonnen hat: die Alternative für Deutschland (AfD). Ausnahmslos alle Bundestagsparteien mussten gestern teils drastische Stimmenanteilsverluste verbuchen. (1) Dass die SPD in Rheinland-Pfalz und die Grünen in Baden-Württemberg Wahlsieger werden konnten, haben sie vor allem der Authentizität ihrer Spitzenkandidaten Malu Dreyer (SPD) und Winfried Kretschmann (Grüne) zu verdanken.
Worum es geht ist zweierlei: Erstens die wachsende Unzufriedenheit mit der Politik der etablierten Parteien, vor allem mit deren Krisenpolitik, die Probleme nicht wirksam und vor allem gerecht löste, sondern für weite Teile der Bevölkerung vergrößerte. Und zweitens um Authentizität, das heißt um das Bedürfnis der Wähler nach politischen Führungspersönlichkeiten, die Probleme nicht verschleiern, sondern ansprechen, Missstände nicht beschönigen und sagen, was sie denken und nicht was gerade opportun für sie ist.
Donald Trump und Bernie Sanders oder Nigel Farage, Beppe Grillo und Pablo Iglesias, all diese Gesichter des Aufstands gegen das politische Establishment verkörpern das auf die eine oder andere Weise. Sie in einen Topf zu werfen, das wäre definitiv falsch. Natürlich gibt es Berührungspunkte und Ähnlichkeiten und zwar nicht nur zwischen den Parteien, die auf derselben Seite des politischen Spektrums stehen, sondern auch zwischen linken und rechten Parteien. Aber die ideologischen Unterschiede sind trotz allem beträchtlich und selbstverständlich haben die meisten von ihnen erst noch den Beweis zu erbringen, dass sie keine leeren Versprechungen machen. Ihr Erfolg, der große Zuspruch, den sie finden, ist Beleg dafür, dass in der Politik seit Jahren schon etwas gehörig falsch läuft.

Auf Konfrontationskurs: Politisches Establishment und Wähler

In der Art der Bekämpfung der Neuaufsteiger und ihrer Köpfe seitens des politischen Establishments gibt es hingegen kaum Unterschiede: Es werden alle Register gezogen, um sie unseriös, undemokratisch, inkompetent und damit als unwählbar erscheinen zu lassen. Über die Gründe der Wähler oder genauer gesagt deren Kritik an den etablierten Parteien, die diese "Protest"-Parteien und –Kandidaten so erfolgreich werden lässt, findet keine Auseinandersetzung statt – nicht einmal ansatzweise. Die Botschaft des politischen Establishment ist damit ebenso klar wie fatal: Wir wissen es besser, wir machen keine Fehler, wir sind unantastbar. Genau das ist es, was die Wähler in Scharen zu Protest-Parteien am linken und rechten Rand des politischen Spektrums treibt. Es ist ein Konfrontationskurs.
Wohin ein solcher Konfrontationskurs des politischen Establishments mit den Wählern führen kann, zeigt die Geschichte. Denn die Reaktionen beispielsweise des politischen Establishments und der führenden Medien auf den erdrutschartigen Erfolg der NASDAP bei den Wahlen im September 1930 weisen klare Parallelen zu heute auf. Im Leitartikel der Frankfurter Zeitung vom 15. September 1930, in dem die Reichstagswahlen vom Tag zuvor als „Erbitterungs-Wahlen“ bezeichnet werden, wird der Aufstieg der NSDAP wie folgt erklärt und bewertet:
„ ... Kein positiver Wille, auch nicht der zu einem wirklichen Umsturz des heutigen Staates, nicht einmal der zu dem gewaltsamen Versuch eines Umsturzes unserer heutigen außenpolitischen Grundlagen, steht hinter einem großen Teil dieser radikal-negierenden Stimmen. Ein solcher Umsturz-Wille ist, wir dürfen uns wahrhaftig nicht in Illusionen wiegen, bei einem Teil sicherlich vorhanden. Der andere Teil hat lediglich Protest gewollt. Protest – auch darüber dürfen wir uns keine Illusionen machen, und am allerwenigsten dürfen das diejenigen Parlamentarier und sonstige Parteistellen, die es zunächst angeht – gegen die Methoden des Regierens oder Nichtregierens, des entschlußlosen parlamentarischen Parlamentierens der letztvergangenen Jahre, die jedem anderen mißfallen haben als den Parlamentariern, die sie betrieben. Protest gegen die wirtschaftliche Not, die furchtbar ist und die viele, zum Teil aus ehrlicher Verzweiflung zum anderen bloß aus dem Ärger über diese oder jene Einzelmaßnahme, einfach in die Stimmung treibt: die Partei, für die sie bisher gestimmt hatten, habe ihnen nicht geholfen, also versuche man es nun einmal mit der anderen Tonart. Hitler verspricht ja Macht, Glanz und Wohlstand. Also! Wie wäre es, wenn Hitler jetzt wirk­lich die Möglichkeit erhielte, die Macht zu ergreifen? Er stünde nackt und bloß und wüßte in Wirklichkeit nichts, gar nichts, um seine Versprechungen zu erfüllen und Deutschland aus der Not herauszuführen. ... „
Wörtlich aus dem Leitartikel der Frankfurter Zeitung vom 15.09.1930, Nr. 688, zitiert nach W. Conze, „Der Nationalsozialismus“, Teil I, Stuttgart, 6. Aufl. 1972, RZ 54, S. 38-39.
Die meisten Wähler der NSADP werden als Protestwähler abgestempelt, deren Motive nur zum Teil einen ernstzunehmenden Hintergrund haben. Die NSDAP selbst wird als Partei dargestellt, die ihre Versprechungen gar nicht erfüllen kann, wenn sie an die Macht käme. Die zentrale Botschaft des Artikels ist, dass es gar keine politische Alternative gibt und auch nicht geben kann.
Wer den gestrigen Wahlabend in Deutschland verfolgt hat, wird sich des Eindrucks nicht erwehren können, dass die AfD und die AfD-Wähler vom politischen Establishment und den Medien beharrlich in derselben Weise einsortieret werden. Ob zu Recht oder nicht, auch dem Republikaner Donald Trump geht es als parteiinternem Gegner des Establishments nicht anders und das gilt ebenso für alle ernstzunehmenden neuen „Protest“-Parteien, ganz gleich ob sie auf der linken oder rechten Seite des politischen Spektrum stehen. Die Reaktionsmuster des politischen Establishments auf eine erstarkende, gegen es selbst gerichtete Kraft sind scheinbar immer dieselben.

Zwei mögliche Antworten des politischen Establishments auf erstarkende Protestparteien

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Es geht hier nicht um eine qualitative Bewertung von Kandidaten und neuen Parteien. Vielmehr geht es darum hervorzuheben, dass diese Methode des Umgangs mit neuer politischer Konkurrenz nicht aufgeht. Sie führt nicht zum vom politischen Establishment gewünschten Ergebnis, sondern erreicht das Gegenteil.
Ein gestern am Abend in der Onlineversion der Neuen Zürcher Zeitung zum Aufstieg der AfD bei den Landtagswahlen veröffentlichter Kommentar trifft deswegen den Nagel auf den Kopf. Zwei mögliche politische Antworten der etablierten Parteien werden darin gesehen. Entweder sie erkennen, dass „der Grossteil der Wähler des Aufsteigers nicht einfach ein Haufen trüber Rassisten, Extremisten und Dummköpfe ist, die man am besten ignoriert“, sondern „dass ihnen viele der eigenen, durchaus bürgerlichen und ehrenhaften Wähler abhandengekommen sind, weil diese nicht mehr geneigt sind, die Politik der Regierungskoalition nach dem Motto von Kanzlerin Merkel als alternativlos zu betrachten.“ Oder es gibt einen „empörten Aufschrei in Medien und Politik über die Bedrohung durch die 'rechtspopulistische' AfD“, die dann weiterhin zusammen mit ihren Wählern aus dem politischen Diskurs ausgegrenzt werden mit der Folge, dass die Machtverhältnisse zwar unverändert bleiben, aber die Spannungen und die Unzufriedenheit in der Bevölkerung zunehmen. (2)
Die politischen Reaktionen auf das Wahlergebnis lassen den Schluss zu, dass sich die etablierten Parteien bereits reflexartig für die zweite Antwortmöglichkeit entschieden haben. Besser wird dadurch nichts. Es gibt in der Wahrnehmung vieler viele ungelöste oder unbefriedigend gelöste Probleme in Deutschland und auf europäischer Ebene. Die Mehrheit der Wähler mag das heute an deutschen Wahlurnen noch nicht so sehen. Gemessen an den Reaktionen auf den gestrigen Erfolg der AfD stellen die etablierten Parteien jedoch nicht darauf ab, Schein und Sein durch Kurskorrekturen wieder miteinander in Einklang zu bringen und das ist mit Blick auf die Geschichte beinahe eine Garantie dafür, dass sie die Mehrheit nicht werden halten können.
Was gestern in Deutschland auf Länderebene geschehen ist, ist kurz zuvor in Portugal, dann in Spanien und zuletzt auch in Irland auf nationaler Ebene bei Wahlen passiert: Die Regierungsbildung ist aufgrund unklarer Mehrheitsverhältnisse zum Problem geworden. Das ist die politische Realität. Wir erleben eine Art schleichende "Weimarisierung" Europas, weil die etablierten Parteien aus der Geschichte offenbar nichts lernen wollen. Es wäre nicht so beunruhigend, wenn dies nur in einem Land geschähe. Aber es geschieht in so vielen Ländern zur gleichen Zeit.

1 Kommentar:

  1. Hallo Herr Eichner,

    ich erlaube mir die Diskussion die wir zur Bundestagswahl 2013 hier hatten noch einmal hier zu verlinken: (Stichpunkt: "des Kaisers neue Kleider".)
    http://stefanleichnersblog.blogspot.de/2013/08/die-bundestagswahl-und-europa-die.html

    Seit 2013 hat sich im Grunde nichts geändert. Der nackte Kaiser und sein Hoftstaat ziehen das Schauspiel weiter durch und die Wähler fallen auf die dreisten (Auf)Schneider massenweise herein.

    AntwortenLöschen