Montag, 11. April 2016

Umfrage: Nur noch 44 Prozent für Regierungsparteien!



Für den Fall, dass Sie es gedacht haben (was durchaus beabsichtigt ist): Nein, in der Überschrift ist nicht von der Großen Koalition in Berlin die Rede, sondern von der in Wien. Es ist eine Schlagzeile vom Wochenende in der Online-Ausgabe des österreichischen „Standard“ zu den Ergebnissen einer aktuellen Umfrage. (1)
In Österreich fallen die Umfragewerte für die Österreichische Volkspartei (ÖVP) und für die Sozialdemokratische Partei Österreichs (SPÖ) seit langem kontinuierlich. Bei der letzten Nationalratswahl (2013) kamen sie zusammen auf 50,8 Prozent der Stimmen. In der jüngsten Umfrage erreichten sie jeweils nur noch einen Stimmenanteil von 22 Prozent. (2)
Nun, Österreich ist nicht Deutschland, werden Sie vielleicht sagen. Das stimmt natürlich, auch wenn es schon gewisse Ähnlichkeiten gibt. Doch sind die beiden großen Volksparteien CDU und SPD wirklich noch so weit entfernt von „österreichischen Verhältnissen“?

Deutschland ist nicht Österreich – für die Volksparteien! Oder doch?

Tatsache ist, dass CDU und SPD bei den jüngsten Landtagswahlen teils schwere Einbußen haben hinnehmen müssen:
  • In Baden-Württemberg stürzte die CDU von 39 Prozent (2011) um 12 Prozentpunkte auf nur noch 27 Prozent ab, die SPD rauschte von 23,1 Prozent (2011) um 10,4 Prozentpunkte nach unten auf nur noch 12,7 Prozent.
  • In Rheinland-Pfalz verlor die CDU 3,4 Prozentpunkte im Vergleich zur Landtagswahl von 2011 (35,2 Prozent), die SPD konnte sich leicht um 0,5 Prozentpunkte auf 36,2 Prozent verbessern. Es war aber kein Sieg der SPD, sondern ein Sieg der überzeugenden SPD-Spitzenkandidatin Malu Dreyer.
  • In Sachsen-Anhalt kam die CDU nur noch auf 29,8 Prozent der Stimmen – 2,7 Prozentpunkte weniger als bei der vorherigen Landtagswahl; die SPD brach um 10,9 Prozentpunkte auf nur noch 10,6 Prozent Stimmenanteil ein.
Auch in den aktuellen Umfragen sieht es für die beiden deutschen Volksparteien wieder schlechter aus. Aktuell kommen CDU/CSU auf Bundesebene nur noch auf 33-34 Prozent, die SPD ist mit 20-21 Prozent auf ein historisches Tief gefallen. Das macht zusammen 53-55 Prozent. (3)

Der politische Umbruch hat begonnen – auch in Deutschland

Bei den letzten Landtagswahlen in Deutschland war die rechtspopulistische Alternative für Deutschland (AfD) der große Gewinner. In Baden-Württemberg kam sie aus dem Stand auf 15,1 Prozent der Stimmen, in Rheinland-Pfalz von Null auf 12,6 Prozent Stimmenanteil und in Sachsen-Anhalt wurde sie mit 24,2 Prozent der Stimmen auf Anhieb zweitstärkste Kraft. Das ist ein kometenhafter Aufstieg.
Auch in dieser Hinsicht gibt es eine klare Parallele zu Österreich. Dort befindet sich die rechtspopulistische Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) allerdings seit Jahren in einem eher kontinuierlichen Aufstieg. Bei der Nationalratswahl von 2013 kam sie auf 20,5 Prozent der Stimmen, in der jüngsten Umfrage liegt sie bei satten 32 Prozent und damit um 10 Prozentpunkte vor der SPÖ und vor der ÖVP. (4)
Sicher, die AfD, die seit kurzem mit der FPÖ kooperiert, ist zwar noch weit von deren Popularitätswerten entfernt. Aber sie ist auch eine viel jüngere, erst im Zuge der Euro-Krise Anfang 2013 gegründete Partei, deren Aufstieg 2014 mit der Europawahl begann. Einen Popularitätsschub erhielt sie zuletzt durch die umstrittene Flüchtlingspolitik der Bundesregierung. Doch es ist keineswegs allein die Kritik an der Flüchtlingspolitik, die der AfD den Zulauf bringt.
In ganz Europa erleiden altehrwürdige Volksparteien bei Umfragen und bei Wahlen teils massive Verluste. Der Grund dafür ist nicht einfach Unzufriedenheit mit den jeweiligen Regierungen, sondern Unzufriedenheit mit den großen Volksparteien und ihrer Art des Umgangs mit dem Mandat ihrer Wähler an sich. Es ist keine Politikverdrossenheit. Es ist ein sich stetig vertiefender Riss zwischen den Wählern und dem politischen Establishment.
Gesucht sind deswegen von vielen Wählern Möglichkeiten, dem politischen Establishment, das in einer Parallelwelt, aber eben nicht in der Welt der Wähler zu leben und zu entscheiden scheint, einen Denkzettel zu verpassen – bei Wahlen oder auch bei Referenden. Die Iren haben es vor wenigen Wochen bei der Parlamentswahl getan – die regierende konservative „Fine Gael“ brach um 10,6, ihr sozialdemokratischer Partner „Labour“ um 12,8 Prozentpunkte ein. (5) Und die Niederländer taten es erst vor wenigen Tagen mit ihrem „Nee“ beim Referendum über das Assoziierungsabkommen der EU mit der Ukraine. (6)
Das sind zwei von vielen Fällen. Bemerkenswerter Weise betonen jedoch viele Parteipoli­tiker bei derartigen Niederlagen bestenfalls immer wieder lediglich, sie hätten die Wähler verstanden. Meist sehen sie darin allerdings keinen Grund, an ihrer Politik wirklich etwas zu verändern. Es wird im Gegenteil eher versucht einfach durchzuregieren, allen Wahlohrfeigen, Protesten und – auf europäischer Ebene – auch allen politischen Streitigkeiten, die mittlerweile allzu oft an Entscheidungsunfähigkeit grenzen, zum Trotz.

Wähler sucht Anti-Establishment-Politik, rechts oder links

Es entsteht nirgendwo in der Europäischen Union der Eindruck, als würden von Seiten des politischen Establishments ernsthafte Schritte unternommen, um dem sich vertiefenden Riss zwischen Wählern und Politik, der in Umfragen, bei Wahlen und Referenden sowie Massenprotesten seinen Ausdruck findet, entgegenzuwirken.
Kann irgendjemand vor dem Hintergrund all dessen, was europaweit geschieht, noch ernsthaft glauben, Deutschland bliebe von dieser selbst mit zu verantwortenden Entwicklung verschont?
Die AfD wird gegenwärtig von vielen Wählern in Deutschland als einzige Partei wahrge­nommen, die nicht zum politischen Establishment gehört, sondern sich ihm entgegenstellt. Genau deswegen machen Angriffe aus dem politischen Establishment auf diese Partei die AfD nur noch stärker. Dass Deutschland oder Europa nach rechts rücken, lässt sich dennoch so nicht sagen. In Spanien wird beispielsweise ebenso wie in Griechenland eine Linkspartei als Anti-Establishment-Partei wahrgenommen („Podemos“ bzw. „Syriza“). Bei den jüngsten Landtagswahlen in Deutschland wurde die Linkspartei hingegen von den Wählern ebenfalls „abgestraft“. Die Linkspartei wird zwar nicht als Teil des politischen Establishments wahrgenommen, aber als eine Partei, die diesem nicht glaubhaft etwas entgegenzusetzen vermag. In sie gesetzte Hoffnungen wurden nicht erfüllt.
Die simple Wahrheit scheint zu sein, dass es vielen Wählern bei Wahlen nicht mehr vornehmlich um die Frage geht, ob eine Partei auf der linken oder rechten Seite des politischen Spektrums einzuordnen ist. Ausschlaggebend ist offenbar vielmehr, ob sie sich entschieden gegen die Politik der etablierten Parteien stellt, deren politische Programme in vielen Belangen, vor allem auch in wirtschaftspolitischen Fragen, für die meisten ohnehin kaum mehr zu unterscheiden sind.
Bei den nächsten Wahlen in Deutschland wird all das nicht aus der Welt geschafft und für die Wähler irrelevant geworden sein. Nur kann durchaus der Eindruck entstehen, CDU und SPD sorge das nicht sonderlich.

Wahlvorschau 2017: Wahlen in NRW und im Bund

In einem Jahr, das heißt im Mai 2017, ist es soweit. Dann wird in Nordrhein-Westfalen ein neuer Landtag gewählt und voraussichtlich Ende September 2017 ein neuer Bundes­tag. Die NRW-Wahl gilt vielen als „kleine Bundestagswahl“. Regiert wird NRW von einer rot-grünen Koalition mit der populären SPD-Politikerin Hannelore Kraft als Ministerpräsidentin. Die AfD ist im nordrhein-westfälischen Landtag bisher nicht vertreten. Es erscheint allerdings als sicher, dass sie auch dort den Einzug ins Parlament schaffen wird. Die neueste Umfrage, durchgeführt von Infratest Dimap Ende Februar – also noch vor den über den Erwartungen liegenden Erfolgen der AfD bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt – sieht die AfD in NRW bei 10 Prozent. Laut dieser Umfrage schafft auch die Linkspartei (7 Prozent) den Einzug in den Landtag. FDP (7 Prozent) und Grüne (9 Prozent) sind wieder im Landtag vertreten, die Piraten scheiden demnach jedoch daraus aus. (7)
Die SPD kommt laut den Meinungsforschern von Infratest auf 31 Prozent, die CDU auf 33 Prozent. Das heißt, nach dieser Umfrage gibt es aktuell weder für Rot-Grün noch für Schwarz-Gelb eine Mehrheit in NRW – eine mittlerweile vertraute Ausgangslage. Das bedeutet in jedem Fall, dass die Regierungsbildung in NRW nach der Wahl im Mai 2017 schwieriger werden wird als nach den letzten Wahlen 2012, bei denen Rot-Grün auf einen Stimmanteil von 50,4 Prozent (SPD 39,1 Prozent, Grüne 11,3 Prozent) gekommen war.
Selbstverständlich ergeben die Umfragen von Infratest Dimap allein noch kein solides Bild und bis zur NRW-Wahl kann sich noch viel ändern. Beunruhigend für SPD wie auch für CDU sollte jedoch sein, dass beide Parteien in den genannten Umfragen seit September 2015 – also seit der bedingungslosen Öffnung der deutschen Grenzen für Flüchtlinge – Zustimmung verloren haben (SPD: minus 5 Prozentpunkte, CDU: minus 2 Prozentpunkte), während die AfD seitdem deutlich hinzugewinnen konnte (plus 6 Prozentpunkte). (8)
Insofern spiegelt sich hierin dieselbe Entwicklung wider, die auch in den Ergebnissen der jüngsten Landtagswahlen ihren Ausdruck fand.
Freilich wird die Flüchtlingspolitik bei den Wahlen im nächsten Frühjahr und Herbst kaum mehr das dominierende Thema sein. Seitdem die Balkanroute geschlossen wurde, ist der Flüchtlingsstrom nach Deutschland ohnehin fast verebbt. Die Unzufriedenheit mit den etablierten Parteien wird indes schon noch ein Thema sein und die AfD hat mit den letzten Landtagswahlen erkennbar den Nimbus der Denkzettel-Partei erworben. Mehr noch ist sie gegenwärtig die einzige Partei, der das – seit den inzwischen abgestürzten Piraten – in Deutschland gelungen ist. Eine Alternative zur „Alternative für Deutschland“ gibt es für die mit der Politik der etablierten Parteien Unzufriedenen mit anderen Worten offenbar nicht. Jedenfalls gibt es sie nicht, wenn Wähler ihre Unzufriedenheit bei Wahlen wirksam zum Ausdruck bringen wollen.

Ein Denkzettel namens AfD in NRW und im Bund?

Es ist deswegen sehr gut möglich, dass SPD und CDU diese Unzufriedenheit bei den Wahlen in NRW erneut zu spüren bekommen werden. Auszuschließen ist es ganz sicher nicht. Noch wahrscheinlicher wird es sogar im Falle einer sich bis dahin verschlechternden wirtschaftlichen Lage in Deutschland. Die weltkonjunkturelle Entwicklung verheißt bisher jedenfalls nichts Gutes.
Falls die beiden Volksparteien in NRW schlechte Ergebnisse einfahren, dürfte es zu spät für sie sein, um in den wenigen Sommermonaten bis zur Bundestagswahl noch etwas an der Stimmungslage der Wähler zu ändern. Ein parteipolitisches Umdenken wäre angesichts der in signifikanten Teilen der Wählerschaft tief sitzenden Unzufriedenheit so kurzfristig auch nicht mehr glaubwürdig zu vermitteln.
Die SPD scheint bisher ganz auf die Popularität von Hannelore Kraft in NRW zu bauen, der NRW-CDU-Spitzenkandidat Armin Laschet ebenso wie die gesamte CDU auf die Zugkraft der Bundeskanzlerin. Von konzeptionellen Änderungen, die ein Zugehen auf verloren gegangene Wählersegmente signalisieren könnten, ist jedenfalls in beiden Parteien auch nach den jüngsten Landtagswahlen keine Rede. Für beide Parteien ist es eine gleichermaßen riskante Strategie für das Wahljahr 2017, allein auf die Zugkraft ihrer Spitzenkandidaten zu setzen. Es sieht nach „Augen zu und durch“ aus.
Das Szenario, mit dem sich ÖVP und SPÖ in Österreich auseinandersetzen müssen, nämlich dass sie bei der nächsten Wahl beide womöglich zu wenig Stimmen erhalten, um wenigstens in einer Großen Koalition weiterregieren zu können, beschäftigt die beiden Volksparteien in Deutschland gegenwärtig nicht. Sie könnten folglich von den Wählern auf dem falschen Fuß erwischt werden oder anders ausgedrückt: Nie war die Gelegenheit günstiger, beiden Volksparteien einen Denkzettel zu verpassen. Das könnte so manchen Wähler und vor allem auch so manchen bisherigen Nicht-Wähler motivieren.

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