Gemäß Artikel 55 des Grundgesetzes darf
der Bundespräsident weder der Regierung angehören noch gesetzgebenden Körperschaften
des Bundes oder eines Bundeslandes. Auch darf er kein anderes besoldetes Amt, keinen
Beruf und kein Gewerbe ausüben oder ein gewerbliches Unternehmen führen. Der
Bundespräsident ist überparteilich, neutral, nimmt die ihm durch die Verfassung
zugewiesenen Befugnisse wahr und wirkt darüber hinaus repräsentativ,
sinnstiftend und integrativ.
Christian Wulff 2010: Vom Ministerpräsidenten zum Bundespräsidenten
Vor dem Hintergrund dieser Festlegungen ist
verständlich, warum im Jahr 2010 die Nominierung und Wahl von Christian Wulff –
bis dahin CDU-Präsidiumsmitglied und Ministerpräsident von Niedersachsen – zum
Bundespräsidenten umstritten war. Der unmittelbare Wechsel aus einem
politischen Amt in das Bundespräsidentenamt war von vielen kritisiert worden. Eine
Karenzzeit gibt es hier anders als in der Wirtschaft nicht. Gleichwohl stellt
sich in diesem Falle die Frage, ob und inwieweit bei einem Wechsel aus einem
politischen und parteipolitischen Amt in das Bundespräsidentenamt sichergestellt
sein kann, dass die oben genannten Vorgaben zweifelsfrei erfüllt werden.
Gauck-Nachfolge 2017: Wulff „reloaded“?
Vor diesem Hintergrund muss die aktuelle
Diskussion innerhalb der Schwarz-Roten Koalition um die Nachfolge von Joachim
Gauck im Bundespräsidentenamt verwundern. Allen Ernstes werden wieder primär
Persönlichkeiten gehandelt, die politische Ämter bekleiden (1): Außenminister Frank-Walter
Steinmeier (SPD), Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU), Finanzminister
Wolfgang Schäuble (CDU). Auch Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), der
allerdings absagte, war zuvor schon ins Gespräch gebracht worden.
Was haben die Politiker von Union und SPD
aus dem Fall Wulff eigentlich für Lehren gezogen? Ist es ihnen gleichgültig,
wenn der Eindruck entsteht, das Amt des Bundespräsidenten sei jetzt nur noch eine
Art Verschiebebahnhof für Politikerkarrieren? Ist es inzwischen zu einer
ungeschriebenen Voraussetzung geworden, dass nur verdiente Mitglieder von
Regierungsparteien Bundespräsident bzw. Bundespräsidentin werden können? Und verpasst
man denen dann beim Wechsel vom politischen ins Bundespräsidentenamt dann
einfach rasch den Anstrich von Überparteilichkeit, Neutralität und Respektabilität?
Wen soll das überzeugen können? Nicht wenige werden sich einfach nur für dumm
verkauft fühlen.
Züge einer zunehmend autistischen Politik
Vielleicht sollten die führenden
Mitglieder der beiden großen Volksparteien mit der Diskussion über geeignete
Kandidaten für die Gauck-Nachfolge besser noch einmal ganz von vorne beginnen
und dieses Mal von vornherein alle aktiven Politiker aus dem Spiel lassen. Denn
was sie in dieser Sache gerade der Bevölkerung vorführen ist dazu geeignet, die
Verdrossenheit und teilweise eben auch die Wut der Wähler gegenüber den
etablierten Parteien, die ohnehin schon groß ist, zehn Monate vor der
Bundestagswahl noch weiter zu steigern.
Allerdings besteht nüchtern betrachtet wenig
Hoffnung, dass sie das tun werden. Denn durch Offenheit gegenüber Kritik haben
sich die Regierungsparteien bisher schon nicht ausgezeichnet. Starres
Festhalten an politischen Positionen, Maßnahmen und Kursen selbst dann noch,
wenn es umfangreiche Proteste, Gerichtsurteile oder einfach nur viele vernünftige
Argumente dagegen gibt, das zeichnet unsere großen Volksparteien offensichtlich
leider aus. Sie werden auch in der Frage der Gauck-Nachfolge keine Ausnahme
machen und damit weiter an Zustimmung in der Bevölkerung verlieren.
Ein Sieg der Union gegenüber der SPD in
dieser Angelegenheit oder umgekehrt könnte sich bei den nächsten Landtagswahlen
und bei der Bundestagswahl als Pyrrhussieg erweisen. Doch vielleicht soll es
einfach so sein. Ihre Apelle, den Populisten bei den kommenden Wahlen keine
Chance zu geben, sind dann allerdings sinnlos.
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