Montag, 7. November 2016

Koalitionsstreit um Gauck-Nachfolge: Niemand sollte aus einem politischen Amt heraus Bundespräsident werden können



Gemäß Artikel 55 des Grundgesetzes darf der Bundespräsident weder der Regierung angehören noch gesetzgebenden Körperschaften des Bundes oder eines Bundeslandes. Auch darf er kein anderes besoldetes Amt, keinen Beruf und kein Gewerbe ausüben oder ein gewerbliches Unternehmen führen. Der Bundespräsident ist überparteilich, neutral, nimmt die ihm durch die Verfassung zugewiesenen Befugnisse wahr und wirkt darüber hinaus repräsentativ, sinnstiftend und integrativ.

Christian Wulff 2010: Vom Ministerpräsidenten zum Bundespräsidenten

Vor dem Hintergrund dieser Festlegungen ist verständlich, warum im Jahr 2010 die Nominierung und Wahl von Christian Wulff – bis dahin CDU-Präsidiumsmitglied und Ministerpräsident von Niedersachsen – zum Bundespräsidenten umstritten war. Der unmittelbare Wechsel aus einem politischen Amt in das Bundespräsidentenamt war von vielen kritisiert worden. Eine Karenzzeit gibt es hier anders als in der Wirtschaft nicht. Gleichwohl stellt sich in diesem Falle die Frage, ob und inwieweit bei einem Wechsel aus einem politischen und parteipolitischen Amt in das Bundespräsidentenamt sichergestellt sein kann, dass die oben genannten Vorgaben zweifelsfrei erfüllt werden.
Nachdem Christian Wulff von Ende 2011 an wochenlang die Schlagzeilen wegen Vorwürfen der Vorteilsannahme in seiner Zeit als Ministerpräsident von Niedersachsen beherrscht und die Staatsanwaltschaft Hannover die Aufhebung seiner Immunität beantragt hatte, war er im Februar 2012 vom Amt des Bundespräsidenten zurückgetreten. Im Februar 2014 wurde er freigesprochen.

Gauck-Nachfolge 2017: Wulff „reloaded“?

Vor diesem Hintergrund muss die aktuelle Diskussion innerhalb der Schwarz-Roten Koalition um die Nachfolge von Joachim Gauck im Bundespräsidentenamt verwundern. Allen Ernstes werden wieder primär Persönlichkeiten gehandelt, die politische Ämter bekleiden (1): Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD), Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU), Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). Auch Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), der allerdings absagte, war zuvor schon ins Gespräch gebracht worden.
Was haben die Politiker von Union und SPD aus dem Fall Wulff eigentlich für Lehren gezogen? Ist es ihnen gleichgültig, wenn der Eindruck entsteht, das Amt des Bundespräsidenten sei jetzt nur noch eine Art Verschiebebahnhof für Politikerkarrieren? Ist es inzwischen zu einer ungeschriebenen Voraussetzung geworden, dass nur verdiente Mitglieder von Regierungsparteien Bundespräsident bzw. Bundespräsidentin werden können? Und verpasst man denen dann beim Wechsel vom politischen ins Bundespräsidentenamt dann einfach rasch den Anstrich von Überparteilichkeit, Neutralität und Respektabilität? Wen soll das überzeugen können? Nicht wenige werden sich einfach nur für dumm verkauft fühlen.

Züge einer zunehmend autistischen Politik

Vielleicht sollten die führenden Mitglieder der beiden großen Volksparteien mit der Diskussion über geeignete Kandidaten für die Gauck-Nachfolge besser noch einmal ganz von vorne beginnen und dieses Mal von vornherein alle aktiven Politiker aus dem Spiel lassen. Denn was sie in dieser Sache gerade der Bevölkerung vorführen ist dazu geeignet, die Verdrossenheit und teilweise eben auch die Wut der Wähler gegenüber den etablierten Parteien, die ohnehin schon groß ist, zehn Monate vor der Bundestagswahl noch weiter zu steigern.
Allerdings besteht nüchtern betrachtet wenig Hoffnung, dass sie das tun werden. Denn durch Offenheit gegenüber Kritik haben sich die Regierungsparteien bisher schon nicht ausgezeichnet. Starres Festhalten an politischen Positionen, Maßnahmen und Kursen selbst dann noch, wenn es umfangreiche Proteste, Gerichtsurteile oder einfach nur viele vernünftige Argumente dagegen gibt, das zeichnet unsere großen Volksparteien offensichtlich leider aus. Sie werden auch in der Frage der Gauck-Nachfolge keine Ausnahme machen und damit weiter an Zustimmung in der Bevölkerung verlieren.
Ein Sieg der Union gegenüber der SPD in dieser Angelegenheit oder umgekehrt könnte sich bei den nächsten Landtagswahlen und bei der Bundestagswahl als Pyrrhussieg erweisen. Doch vielleicht soll es einfach so sein. Ihre Apelle, den Populisten bei den kommenden Wahlen keine Chance zu geben, sind dann allerdings sinnlos.

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