Dienstag, 2. Juli 2013

Abhörskandal in Deutschland und Europa: Nur die halbe Wahrheit



Im Interview mit Simon Davies für das Blog „The Privacy Surgeon“ zeigte Wayne Madsen, ein ehemaliger Lieutenant der US Navy, der seit 1985 – ähnlich wie zuletzt auch Edward Snowden – als Externer für die National Security Agency (NSA) arbeitete, wenig Verständnis für den kollektiven politischen Aufschrei in Europa angesichts der Enthüllungen zur NSA-Internetüberwachung durch das Prism-Programm.
Denn dieser Aufschrei verschleiert nach seiner Aussage, welche Rolle europäische Regierungen, einschließlich der deutschen, in Abkommen zur globalen Datenüberwachung mit den Vereinigten Staaten selbst spielen. Und diese Abkommen zwischen den USA und Europa seien wesentlich komplexer, undurchsichtiger und weitreichender als man die Öffentlichkeit zu glauben verleitet.
Laut Madsen sind neben den USA sieben europäische Mitgliedstaaten substantiell an der geheimdienstlichen Informationsgewinnung aus den Netzen beteiligt:
Großbritannien, Dänemark, Niederlande, Frankreich, Deutschland, Spanien und Italien.
Sie haben in den NSA-Abkommen formal den Status von Partnern zweiter und dritter Klasse und sind den Vereinigten Staaten vertraglich verpflichtet.
Die gegenwärtigen Äußerungen führender Politiker in Europa sieht er als bewusste Irreführung der Öffentlichkeit an. Ein Zusammenarbeit wie jetzt zwischen der NSA und ihrem britischen Pendant Government Communication Headquarters (GCHQ) im Zusammenhang mit dem durch die Enthüllungen Edward Snowdens in die Schusslinie geratenen Tempora-Programms habe es in derselben Weise auch zwischen Spanien und Deutschland gegeben. Außerdem liefen in Europa in erheblichem Umfang geheime Überwachungsaktivitäten, über die die Regerungen informiert seien. Als Beispiele nennt er unter anderem einen dänischen NSA-Horchposten außerhalb von Kopenhagen sowie eine finnische Station zur Datenüberwachung in der Nähe von Helsinki.
Zum Teil, so heißt es auf „The Privacy Surgeon“ dazu weiter, wurden diese Aktivitäten im Rahmen einer Unter-suchung des Europäischen Parlaments aus dem Jahr 2000 sogar schon erfasst, die durch Enthüllungen zum Überwachungsprogramm ECHELON ausgelöst worden war. Allerdings wurden in diesem Untersuchungsbericht die vertraglichen Beziehungen zur NSA nicht verdeutlicht. Obwohl die Prüfer damals zu dem Ergebnis kamen, dass es umfangreiche und dauerhaft angelegte Spionageaktivitäten über ganz Europa verteilt gibt, habe, so Madsen, das Europäische Parlament nichts unternommen.
Madsen kann deswegen die Aufregung nicht verstehen und es für ihn auch nicht nachvollziehbar, wie Bundes-kanzlerin Angela Merkel Aufklärung von der britischen Regierung und US-Präsident Obama über Überwachungs-zusammenhänge verlangen kann, denen Deutschland selbst beigetreten ist.
Andererseits lässt er keinen Zweifel daran, dass die Überwachungsaktivitäten der NSA völlig aus dem Ruder gelaufen sind und dringend Transparenz für die Öffentlichkeit hergestellt werden muss. Die NSA sei in den vergangenen Jahren noch geheimer und noch mächtiger geworden – eine Auffassung, die General Michael Hayden, ehemaliger Direktor der NSA wie auch der CIA, mit Blick auf die Änderung der gesetzlichen Grundlage, auf der die NSA operiert (Foreign Intelligence Surveillance Act (FISA)) im Jahr 2008 teilt:
Das FISA-Gesetz … wurde 2008 geändert und die Änderungen des FISA-Gesetzes waren sehr viel dramatischer – sehr viel weitreichender – als alles, zu was mich Präsident Bush gemäß seiner Artikel-2-Autorität als Oberbefehlshaber (gilt nur in Kriegs- und Krisenfällen, Anmerk. SLE) je autorisierte.“
Wayne Madsen lässt kein gutes Haar am gegenwärtigen NSA-Chef General Keith Alexander, was den Fall Edward Snowden anbelangt.
Snowden werde jetzt von vielen mit der Begründung verurteilt, er habe kein Recht der Öffentlichkeit Details der Spionagetätigkeit der NSA zu offenbaren. Aber welches Recht oder welche Befugnis, so fragt Madsen, habe NSA-Direktor General Keith Alexander gehabt, im Rahmen von fünf Treffen der Bilderberger – zwei in Virginia und jeweils eins in Griechenland, Spanien und der Schweiz - Informationen zur NSA-Überwachung zu geben?
Sein Fazit: Wenn Alexander Informationen an die Eliten durchsickern lässt, wird ihm gedankt. Wenn Snowden Informationen gibt, ist er ein Verräter und Feigling.
Den sehr lesenswerten Artikel von Simon Davies, der etwas mehr Licht in die durch die Nebelschwaden der allgemeinen Empörung verzerrten Abhör-Realitäten und vor allem auch Abhör‑Verantwortlichkeiten in Europa und Deutschland bringt, finden Sie hier:

5 Kommentare:

  1. Bemerkenswert ist, dass der gestrige Artikel darüber in der WELT gestern Nachmittag verschwunden war.

    http://webcache.googleusercontent.com/search?q=cache:http://www.welt.de/politik/ausland/article117571925/Ehemaliger-NSA-Agent-wirft-Merkel-Heuchelei-vor.html

    Honi soit qui... oder so ähnlich.

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    1. Hallo Sternengucker,

      ein entsprechender Artikel im Guardian wurde offenbar auch gelöscht.

      http://pastebin.com/yMGTZ1PZ#

      Grüße
      SLE

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    2. Wobei es mich bei der Friede Springers Welt (angebl. Angelas bester Freundin) nicht wundert, ausgerechnet grade beim von mir bis gestern hochgeschätzten Guardian aber sehr.

      Aber was soll's? Angela genießt lt. Umfrage 42 % Zustimmung und eher heiratet der Pabst in Rom Theresa Orlowski, als das sich da bis Herbst was dran ändert.

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  2. Eine weitere Frage zur Ehrlichkeit der Amerikaner stellt sich auch noch: AT & T wurde wegen ihrer Monopolstellung als größte Telefongesellschaft der Welt und Monopolist in den USA zerschlagen … aber niemand geht gegen die Monopolisten Google und Microsoft vor. Iss ja klar: Man will sich die Backdoors offenhalten für NSA & Co.!

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  3. Die ARD strahlt interessanterweise am jetztigen Sonntagabend 19:20 Uhr ein Doku aus, die sich mit NSA-Whistleblowern und Edward Snowden befasst. Hier der entsprechende Artikel dazu, in dem darauf hingewiesen wird:

    Ex-NSA-Mitarbeiter äußern sich zum Fall Snowden – “Wehe, man sagt die Wahrheit”
    http://www.tagesschau.de/ausland/snowden188.html

    Grüße
    SLE

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